Welten liegen zwischen der Kölner Fußgängerzone an einem Samstagnachmittag im Herbst, zwischen dem Einkaufsparadies für ungezählte shoppende Glückssucher und den frommen Betern einer eucharistischen Anbetung in der Kirche des Kölner Priesterseminars, wo sich ebenfalls an diesem Herbstsamstag die ‚Europäische Föderation Marianischer Congregationen’ trifft. Hier steigt Weihrauch auf, in der Fußgängerzone dagegen der Pegel in den Einkaufstüten. Zwei Welten, zwei Wirklichkeiten, die räumlich nicht weit auseinander liegen, doch in so ganz anderen kosmischen Realitäten zuhause sind.
Dahinter verbergen sich Deutungsansprüche der Welt und des eigenen Selbstverständnisses, die es sich lohnt einmal genauer anzuschauen. Wer nimmt hier wen an die Hand, wer gibt den Takt an für das Handeln auf der Hohen Straße und für die still betenden Menschen im Priesterseminar?
Frei-sein, Du-selbst-sein, verwirkliche Dich in Deinem Body, kaufe Dir das Leben schön. Das ist der Refrain der Einkaufsmeile, ein Refrain, der den Leerlauf des uneinholbaren Versprechens grenzenloser Freiheit singt. Ein Freiheitsdenken, das die säkulare Moderne hervorgebracht hat, mit ihrem Zwang zur Häresie. Wobei Häresie hier wörtlich gemeint ist, aus dem Griechischen übersetzt: Auswahl, der Zwang zur Auswahl also, um das individuelle Selbst in eine Einzigartigkeit zu schrauben, die vermeintlich unsterblich macht. Endlos ermüdender Leerlauf kommt dabei heraus – und immerwährendes Streben nach Individualismus, verbunden mit einer Skepsis gegenüber jedweder Institution, die nicht nur Kirche, sondern alle Vereine und Verbände in unserer Zeit trifft. Keiner will sich mehr binden, das passt nicht zu meiner wunderbaren Eigenartigkeit.
Dagegen steht der Versuch, sich von – und das klingt zunächst seltsam fremd – Maria an die Hand nehmen zu lassen. Marianische Congregationen setzen ihre Deutungshoheit der Wirklichkeit trotzig gegen das Modell der Einkaufszonen. Klar, da kommt schnell Gelächter auf. Was machen die denn? Komischer Haufen. Aber wer oder was ist hier denn komisch? Vielleicht lohnt es sich, das Gegenmodell des uneinholbaren Freiheitsversprechens anzuschauen, ein Freiheitsversprechen, das meistens vom schnöden Kapitalismus ausgenutzt wird, der die neue säkulare Wahrheit des Glücksversprechens, das in der Selbstverwirklichung liegen soll, in immer neue Ware umsetzt und die Schöpfung mit ihrem Produktionswahn zerstört. Insofern ist die Botschaft der Gottesmutter auch politisch. Selbstbesinnung statt Selbstverwirklichung. Auf einen Versuch käme es an.