Generalmusikdirektor und Gürzenich-Kapellmeister François-Xavier Roth über Musik und Politik

„Ich vermisse Politiker, die mit Sinn für Kultur bessere Politik machen“

Wenn der Kölner Generalmusikdirektor François-Xavier Roth seinen Taktstock schwingt, erlebt das Publikum Leidenschaft pur. Doch reicht ihm die Vermittlung schöner Klänge im Konzertsaal, wenn draußen Menschen mit Bangen in die Zukunft blicken?  Antworten gibt er im domradio.de-Interview

Francois-Xavier Roth mit Birgitt Schippers / © dr
Francois-Xavier Roth mit Birgitt Schippers / © dr

domradio.de: Kurz vor der Premiere der Oper "Benvenuto Cellini" in Köln waren die Anschläge von Paris, und Sie haben erst einmal die Marseillaise gespielt – was wollten Sie damit ausdrücken?

François-Xavier Roth (Kölner Generalmusikdirektor und Kapellmeister des Gürzenich-Orchesters): Das war wirklich für mich als Musiker und Mensch ein sehr bewegender Moment. Mit der Marseillaise wollten wir zeigen, dass wir mit den Parisern, mit den Franzosen sind. Das können wir durch die Musik und das Singen viel einfacher ausdrücken als mit Reden. Und wir waren nicht allein – auch in den Opernhäusern von New York oder in Tokyo haben die Leute die Marseillaise gesungen. Also das war ein einfaches Zeichen, aber ein starkes Statement für Freiheit und für eine Gesellschaft, wo wir alle zusammen leben können. Es gibt Leute auf dieser Welt, die denken und kämpfen gegen dieses Ideal, dass wir voll Respekt mit allen Religionen leben und sie verstehen können.

domradio.de: Gab es auch andere Situationen in Ihrem musikalischen Leben, wo Sie mit Musik ein politisches Statement gesetzt haben?

Roth: Ein paar Wochen nach dem Anschlag habe ich mit meinem französischen Orchester Les Siècles ein Konzert in der Pariser Philharmonie für Kinder gegeben. Ich mache gerne Aktionen, Konzerte für die Kinder oder für die Leute, die noch nicht mit Musik in Berührung gekommen sind. Das Thema war: Musik aus dem Orient. Auf der Bühne hatten wir zwei Sänger aus Ägypten. Und wir haben zusammen ein arabisches Lied gesungen und gespielt. Viele Kinder sind gekommen. Und ich dachte, das ist Politik, weil wir durch Musik sehr einfach und direkt zeigen können, wie gut unsere beiden Kulturen harmonieren, dass wir durch die Verschiedenheit reicher werden.

domradio.de: Wie sehr wurden Sie als junger Musiker in Frankreich politisch geprägt?

Roth: Ich war ganz glücklich, denn ich bin ein Kind der Generation François Mitterand. Der Mann hatte eine Vision, wie ein Land wie Frankreich mit einer Utopie Entscheidungen fällen kann – und zwar mit der Kultur. Ich vermisse diese Politiker wie auch Helmut Schmidt, die Kultur hatten, und mit ihrem Sinn für Kultur bessere Politik machten. 

domradio.de: Ihr Credo ist – wir müssen zu den Menschen gehen. Was treibt Sie an? Ist da ein sozialistisches Erbe?

Roth: Also, ich mache Musik mit dem Ziel, dass Musik nicht etwas Dekoratives ist, sondern sie muss tief in der Gesellschaft verankert sein. Das heißt, Musik, aber auch Kultur und Kunst generell, muss wirklich mehr in unserem Leben sein. Wir brauchen das. Um noch einmal auf die Politiker zurückzukommen:  diese Politikergeneration Mitterand hatte Zeit zu lesen oder ein Konzert zu besuchen. Das ist natürlich nicht so etwas, das unmittelbar pragmatisch der Politik zu Gute kommt. Man denkt, ok, das ist ein bisschen seltsam, warum lesen sie Goethe oder Victor Hugo? Aber genau das bringt eine andere Dimension. Das ist wie mit Leuten, die beten, wo man fragt, was bringt das? Aber man braucht diesen Raum in unserer Gesellschaft für andere Dimensionen ohne schnelle konkrete Resultate.

domradio.de: Es gibt Menschen, die sagen, Musik ist erst einmal völlig unpolitisch. Was sagen Sie zu ihnen?

Roth: Ich denke, das ist total falsch. Es gibt Musik, das spüren wir, das ist Politik pur. Zum Beispiel Beethoven, Berlioz oder auch Stockhausen, die waren wirklich Komponisten, die mit ihrer Musik etwas sehr Großes gesagt haben. Beethoven fragte zum Beispiel mit seiner Musik:  wie können wir mit dieser philosophischen Luft aus Frankreich nach der Französischen Revolution neue Regeln des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft finden. Bei Berlioz wäre es, und das ist natürlich sehr romantisch: wie können eine Frau oder ein Mann mit ihrer Freude oder Traurigkeit etwas den anderen geben. Das ist sehr politisch, denke ich. Es gibt auch andere Beispiele. Ich denke, Komponisten mit diesem politischen Blick sind Avantgarde. Natürlich gibt es auch Komponisten in der Musikgeschichte, die mehr an ästhetischen oder dekorativen Aspekten interessiert sind. Ich denke, alle Komponisten mit einem modernen Blick sind politisch.

domradio.de: Welchen Stellenwert hat da der neue Gürzenich-Auftragskomponist Philippe Manoury?

Roth: Ich freue mich so sehr, dass er nach Köln kommt und mit dem Gürzenich-Orchester arbeitet. Das ist auch ein politisches Zeichen. Wir sind eine alte Institution, aber kein Museum. Wir brauchen die Komponisten, die heute leben. Er ist einer der besten zeitgenössischen Komponisten. Für unser 10. Sinfoniekonzert erleben die Zuschauer ein Orchester im Saal. Nach dem Konzert werden die Leute einen anderen Blick auf das Sinfonieorchester von heute haben. Sehr lange gab es diese Hierarchie Bühne/Orchester und dann das Publikum. Ich hoffe, das ist nicht mehr so.

domradio.de: Wes Brot ich ess‘, des Lied ich sing – das ist ein deutsches Sprichwort. Musik ist schon immer abhängig von den Geldgebern, früher waren es kunstsinnige Fürsten und Könige, heute sind es die Kommunen, politischen Führer oder reiche Sponsoren. Wie mutig sollten Musik machende Menschen sein? Wo sehen Sie da die richtige Balance?

Roth: Ich denke, wir müssen da eine gute Balance finden. Zum Beispiel: was spielen wir als Orchester, wie nehmen wir unser Publikum mit, wie wagen wir gemeinsam ein Risiko. Hier in Köln funktioniert das sehr gut. Und ich freue mich, dass wir immer mehr auch neue Konzertbesucher gewinnen konnten. So ein Orchester ist eine teure Maschine, aber auch sehr wichtig, weil wir so viel geben können. Wir brauchen natürlich eine große Unterstützung. Doch für eine Stadt oder ein Land ist es ein wichtiger Aspekt zu sehen, dass durch ein Orchester oder eine musikalische Institution sie die Chance haben zu erkennen, wie gut eine Kulturvision oder eine ideale Gesellschaftsvision ist. Ich war in Hamburg. Der Bau der Elbphilharmonie war lange ein Chaos. Aber heute vergessen die Leute alles, weil sie spüren, dass dieser Konzertsaal ein unglaubliches Statement für Hamburg sein kann.

domradio.de: Sie gehen mit Teilen des Gürzenichorchesters auch in Altenheime oder Kindergärten …

Roth: … na klar, um Musik zu ihnen zu bringen. Denn es gibt viele Leute, die können nicht in die Philharmonie kommen, und deshalb müssen wir sie besuchen. Das machen wir auch für kleine Kinder. Und ich will auch, dass wir auch in Gefängnisse gehen. Wir müssen überall sein.

Das Interview führte Birgitt Schippers

(dr)