Generalsekretär Vesper über einen ÖKT in schwieriger Zeit

Kirchentag eine "große Chance"

Eine Vielzahl von Missbrauchsvorwürfen gegen Geistliche hat die katholische Kirche in den vergangenen Wochen in die Schlagzeilen gebracht und in eine Vertrauenskrise gestürzt. Ein Interview mit dem Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Stefan Vesper, über einen Kirchentag im Zeichen der Missbrauchsdebatte.

 (DR)

ddp: Herr Vesper, befürchten Sie, dass der 2. Ökumenische Kirchentag in der öffentlichen Wahrnehmung von der Missbrauchsthematik überlagert wird?
Vesper: Katholikentage und Kirchentage und so auch der Ökumenische Kirchentag sind immer «Zeitansage», darum sind die aktuellen Themen immer präsent und sollen auch präsent sein. Darum machen wir zwei zusätzliche Veranstaltungen: eine grundsätzlich zum Missbrauch in der Gesellschaft und eine weitere zum Missbrauch in der katholischen Kirche. Aber mir liegt sehr daran, dass das Programm in seiner ganzen Breite wahrgenommen wird, das wir mit vielen engagierten Menschen über zwei Jahre vorbereitet haben. Uns geht es um das christliche Zeugnis in der Gesellschaft in vielen politischen und gesellschaftlichen Bereichen - und das sollte nicht in den Hintergrund treten.

ddp: Insbesondere die katholische Kirche steckt derzeit in einer Vertrauenskrise. Kommt der ÖKT vor diesem Hintergrund zu einem ungünstigen Zeitpunkt oder vielleicht gerade richtig?
Vesper: Der Ökumenische Kirchentag ist eine große Chance auch in der jetzigen, für die katholische Kirche belastenden Situation. Er ist eine Chance, weil er zeigt, wie vielfältig und stark das christliche Zeugnis in der Gesellschaft ist und wie stark die Kraft des Evangeliums ist, die immer auch eine reinigende und klärende Kraft ist. Wichtig ist für uns Christen, an der Seite der Armen und Schwachen zu sein und auch über Konzepte zu sprechen, wie wir dem Gemeinwohl dienen können, sowohl mit Blick auf die Menschen, die jetzt leben, als auch auf künftige Generationen. Wir können also mit dem ÖKT zeigen, dass wir als Christen das Vertrauen rechtfertigen, das die Menschen in uns haben.

ddp: Aber es ist doch gerade viel Vertrauen verloren gegangen.
Vesper: Das ist ja gerade eine große Chance: zu zeigen, dass die Kirche den Missbrauch konsequent aufklären will und darin auch ein Vorbild sein könnte für andere gesellschaftliche Organisationen. Aber es ist auch eine Möglichkeit zu zeigen, wie viel Gutes von Christen in dieser Zeit getan wird.

ddp: Mit welchen Themen oder Akzenten könnten die Kirchen auf dem ÖKT möglicherweise aus dem gegenwärtigen Schatten heraustreten?
Vesper: Ich nenne vier Bereiche: Wir Christen wollen verantwortlich in der einen Welt handeln und Solidarität leben, auch mit den Armen und Hungernden. Wir Christen wollen in einer offenen Gesellschaft an der Zukunftsgestaltung mitwirken, vor allem auch in den wichtigen Fragen von Bildung, Familie und Lebensschutz in allen Phasen des Lebens. Wir Christen wollen uns im Dialog mit den Andersdenkenden bewähren und für das Christsein auch in schwieriger Zeit werben. Und wir Christen wollen als Kirchen weiter zusammenwachsen und uns besser kennenlernen. Dazu hat schon der Vorbereitungsprozess große Anstöße gegeben, insbesondere in vielen Pfarrgemeinden im ganzen Land.

ddp: Wie steht es denn um die Ökumene in Deutschland? Es gab ja in den vergangenen Monaten mehrfach Spannungen zwischen den Kirchen.
Vesper: Der Ökumenische Kirchentag in München und sein Vorbereitungsprozess sind ein wichtiger Beleg dafür, dass die Ökumene nicht in einer «Eiszeit», sondern in einem dynamischen Prozess ist. Es ist wichtig, dass am Ökumenischen Kirchentag Menschen aus den Gemeinden, Theologen und Bischöfe teilnehmen und wir alle drei Kräfte miteinander verbinden. Vor allem aber geht es darum, das Vertrauen und die Beziehungen zueinander zu vertiefen und zu spüren, dass wir aus einem Geist heraus handeln. Wir beginnen da, wo wir am ersten Ökumenischen Kirchentag mit dem großartigen Schulgottesdienst aufgehört haben, mit einer Erinnerung an unsere Taufe, die uns Christen alle verbindet und uns Kraft gibt für unser Leben in dieser Gesellschaft.