DOMRADIO.DE: Zwischen 2010 und Oktober 2021 haben Sie das "Wort zum Sonntag" mitgestaltet. Unter anderem haben Sie sich mal einen Eimer Eiswasser über den Kopf schütten lassen. Für alle, die diesen Hype verpasst haben, was war da los?
Gereon Alter (Essener Pfarrer und bis 2021 Sprecher des "Wortes zum Sonntag" in der ARD): Die Ice Bucket Challenge hatte damals die ganze Republik ergriffen. Das war eine recht kreative Form, Spenden für eine bis dahin unheilbare Krankheit zu gewinnen. Das bestimmte auch das Fernsehprogramm und da habe ich mir gedacht, hier kannst du zeigen, dass du als Vertreter der Kirche auch Teil dieser Gesellschaft bist. Deshalb habe ich einfach mitgemacht.
DOMRADIO.DE: Wissen Sie noch, was Ihre Botschaft dazu war?
Alter: Es war jetzt nicht der tiefgründigste Beitrag. Aber es genau ging darum, dass Vertreter der Kirche keine Sonderlinge sind, die wenig mit dem tatsächlichen Leben zu tun haben, sondern Kirche kriegt mit, was in der Gesellschaft passiert.
DOMRADIO.DE: Welches "Wort zum Sonntag" war für Sie in all den Jahren das herausforderndste?
Alter: Das ist natürlich immer dann, wenn Katastrophen passieren und abends im Fernsehen Brennpunkte laufen. Ob das das Erdbeben in Haiti war, das Loveparade-Unglück in Duisburg oder auch die Anschläge in Hanau. Wir vom "Wort zum Sonntag" mussten dazu Stellung nehmen. Das hat mich genauso wie jeden anderen Fernsehzuschauer sehr berührt.
DOMRADIO.DE: Besonders in Erinnerung ist Ihnen auch noch das "Wort zum Sonntag" vom Katholikentag 2018 in Münster. Sie haben da fremdenfeindliche Parolen von AfD-Politikern kritisiert. Wie waren die Reaktionen danach?
Alter: Damals fing das an, was heute immer mehr salonfähig wird. Ich habe relativ früh gesagt, dieses menschenverachtende Sprechen über andere Gesellschaftsgruppen ist gefährlich. Ich habe nur ganz vorsichtig von Vertretern dieser Partei gesprochen und habe einen immensen Shitstorm auf mich gezogen. In der Bildzeitung stand "Pfarrer hetzt gegen AfD", ich habe Morddrohungen bekommen. Das sind auch Zeichen dafür, wie unsere Gesellschaft damals schon aufgestellt war.
DOMRADIO.DE: Was ist danach offensichtlich nicht in die richtige Richtung gelaufen, wenn Sie 2018 schon den Finger in die Wunde gelegt haben?
Alter: Das haben ja viele getan. Es sind einfach immer mehr die Grenzen ausgeweitet worden. Aktuell gibt es viele Demonstrationen, bei denen größere Bevölkerungsgruppen in Bewegung kommen, die sagen, so geht es nicht weiter. Das gibt mir Hoffnung, dass sich dieses Ruder nochmal rumreißen lässt in Richtung eines respektvolleren Umgangs miteinander.
DOMRADIO.DE: Am meisten Zuschauer hatte das "Wort zum Sonntag" immer dann, wenn Sie rund um den ESC dran waren. Das wurde zum Teil mit eingebaut. War es schwer, so ein buntes Publikum abzuholen?
Alter: Das Publikum ist eigentlich immer bunt, aber beim ESC natürlich besonders bunt. Es sind keine Stammhörer, die einschalten, um das "Wort zum Sonntag" zu sehen. Die typische Zuschauerreaktion ist immer: Eigentlich gucke ich das ja nicht, aber... Und dieses "aber" ist interessant.
So ist es auch beim ESC. Da bekommen wir es mit Leuten zu tun, die Schlagermusik schauen wollen und hängenbleiben. Die sagen: Ach guck mal, Kirche gibt es ja auch noch, was hat der gerade zu sagen? Und ich habe Themen aufgegriffen, die gesellschaftlich relevant waren und habe dafür schon auch positives Feedback bekommen.
DOMRADIO.DE: Sie haben nach 100 Sendungen auf eigenen Wunsch aufgehört, am 31. Oktober 2021. Warum?
Alter: Weil es genug war. 100 Sendungen sind eine runde Zahl und es lief gut. Ich habe mir gedacht: Hör lieber auf, wenn es gut läuft, als wenn du Schwierigkeiten bekommst, weil dir keine Ideen mehr kommen oder so. Außerdem hat es mir Zeit gegeben, ein neues Projekt anzugehen. Ich habe gerade ein Buch geschrieben und auf den Markt gebracht.
DOMRADIO.DE: Gucken Sie heute noch, was die Kollegen da so machen?
Alter: Ja, oft nicht im Fernsehen, sondern über die Mediatheken. Aber ich verfolge das sehr wohl noch.
DOMRADIO.DE: Was meinen Sie, hat das "Wort zum Sonntag" auch in den nächsten 10, 20 Jahren noch eine Zukunft?
Alter: Es ist nicht für die Ewigkeit bestimmt, wie alles. Es gibt interessante neue Verkündigungsformate, auch in den sozialen Medien. Deshalb würde ich nicht meine Hand dafür ins Feuer legen. Aber gerade weil es so ein Dino ist - es hat sich 70 Jahre schon durch die verschiedensten Situationen geschlagen - glaube ich, dass es noch ein paar Jahre haben wird.
Das Interview führte Carsten Döpp.