Kardinal Pell erwartet sein Strafmaß

Gericht könnte bis zu 50 Jahre Haft verhängen

Am Mittwoch verkündet ein Gericht in Melbourne die Höhe der Strafe für den wegen Missbrauchs verurteilten Kardinal George Pell. Ihm droht eine jahrzehntelange Haft.

Autor/in:
Michael Lenz
Kardinal George Pell  / © Erik Anderson (dpa)
Kardinal George Pell / © Erik Anderson ( dpa )

Schlagzeilen über sich - auch weit über Australien hinaus - ist Kardinal George Pell gewohnt. Der konservative "Kulturkämpfer", der eigentlich Profi-Rugbyspieler werden wollte, machte immer wieder mit provokanten Äußerungen zu gesellschaftspolitischen Fragen auf sich aufmerksam. Nun steht der Geistliche mehr denn je im Fokus der Weltöffentlichkeit.

Ein Gericht in Melbourne befand den 77-Jährigen kürzlich in einem umstrittenen Urteil für schuldig, 1996 als Erzbischof einen 13 Jahre alten Jungen in der Sakristei der katholischen Kathedrale von Melbourne sexuell missbraucht und einen anderen belästigt zu haben.

Folgen für Australien beträchtlich

Für Mittwoch ist die Verkündung des Strafmaßes vorgesehen, der Richterspruch wird voraussichtlich live im Fernsehen übertragen. Pell droht im Extremfall eine jahrzehntelange Haftstrafe. Zwar ist der Ausgang eines vom Verteidigerteam des Kardinals angekündigten Berufungsverfahrens ungewiss, doch die gesellschaftlichen Folgen der Causa Pell sind für Australien jetzt schon beträchtlich. So dürfte die Reputation des streitbaren Kirchenmannes ruiniert sein. Als Sprachrohr der Konservativen fällt er vorerst aus.

Vor allem als Wortführer der Klimawandel-Skeptiker wird er vielen seiner Anhänger fehlen. So warf er Umweltschützern immer wieder vor, ihre "moralisierenden Ziele anderen durch eine Angstkampagne aufzwingen zu wollen". Die Kampagnen derer, die bezweifeln, dass der Klimawandel vorwiegend menschengemacht ist, haben im rohstoffreichen Australien zum Sturz mehrerer Premierminister beigetragen.

Pell und der Missbrauchsskandal

Seine wohl kontroverseste Rolle aber spielte Pell im australischen Missbrauchsskandal: Zunächst als Priester in Ballarat, dann als Erzbischof von Melbourne und Sydney stand er in den vergangenen Jahrzehnten ein ums andere Mal im Zentrum des Skandals. Immer wieder tauchte der Vorwurf auf, er habe Jugendliche missbraucht. Ein Untersuchungsverfahren der Erzdiözese Melbourne endete 2002 jedoch mit einem Freispruch - aus Mangel an Beweisen.

Zudem gibt es gegen Pell Vorwürfe, er habe Missbrauchsfälle vertuscht. Vor einer staatlichen Missbrauchskommission räumte der Kardinal ein, er habe "damals" einfach den Unschuldsbeteuerungen beschuldigter Priester geglaubt. Zugleich aber warf er den Medien wiederholt vor, das Problem des Missbrauchs übertrieben darzustellen und für eine "Schmierenkampagne" gegen die Kirche zu instrumentalisieren. "Pell war immer eine kontroverse Persönlichkeit und das genießt er auch", sagt der australische Theologieprofessor Neil Ormerod. Ob Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe, Klimawandel, Pell habe stets gerne pointiert Stellung bezogen, so der Wissenschaftler.

"Pell handelt sehr kalt"

Als Erzbischof von Melbourne entwickelte Pell 1996 als erster australischer Kirchenführer das Aufklärungsprogramm "Melbourne Response" zum Umgang mit Missbrauchsfällen. Ein Element war neben dem Angebot von pastoralem und psychologischen Beistand sowie hohen Schmerzensgeldzahlungen eine Schweigevereinbarung mit den Betroffenen.

"Pell handelt sehr kalt", kritisiert Ormerod. "Im Missbrauchsskandal hat er immer als Vertreter der Institution Kirche gehandelt, nie als Seelsorger." Mit der "Melbourne Response" zog sich Pell auch den Unmut etlicher Bischofskollegen zu, die seinerzeit kurz davor waren, auf Bischofskonferenz-Ebene einheitliche Standards zum Umgang mit Missbrauchsfällen zu veröffentlichen.

Manche halten Schuldspruch für nicht haltbar

Die nun erfolgte Verurteilung wegen Missbrauchs spaltet die australische Öffentlichkeit. Für seine Anhänger ist Pell weiter unschuldig. Für seine Gegner hat sich bewahrheitet, was sie schon immer zu wissen glaubten. Der konservative amerikanische Publizist und Theologe George Weigel, den eine lange Freundschaft mit Pell verbindet, hat in einem Beitrag für das US-Magazin "National Review" dargelegt, warum der Schuldspruch gegen den Kardinal nicht haltbar sei. Andere sind in Sachen Berufungsverfahren weniger zuversichtlich.

Richter Peter Kidd, der Pell verurteilt hat, gilt als sorgfältiger Jurist. Viele halten es daher für unwahrscheinlich, dass es gelingen könnte, mögliche Verfahrensfehler nachzuweisen. Der australische Jesuit und Autor Michael Kelly meint: "Die Chancen von George, die Berufung zu gewinnen, sind nicht groß."


Quelle:
KNA