"Dass die Institution, aus der ein Täter kommt, anhand ihrer eigenen Akten ermittelt, sodann den Richter stellt und auch noch über die Entschädigung mitbestimmt - einen solchen 'In-sich-Prozess' gibt es in der staatlichen Ordnung nicht", sagte Roland Ketterle am Samstag im Interview des "Kölner Stadt-Anzeigers".
Ketterle, der seit 2014 Präsident des Kölner Landgerichts ist, zog eine positive Bilanz des Gerichtsverfahrens gegen den früheren katholischen Pfarrer U., der Anfang März vom Landgericht wegen 110-fachen sexuellen Missbrauchs zu einer zwölfjährigen Haftstrafe verurteilt worden war.
Verbrechen wurden bagatellisiert
"Kapitalverbrechen wurden im Erzbistum Köln als Verfehlungen von 'Brüdern im Nebel' bagatellisiert. Dem ist die Kammer im Prozessverlauf aufs Deutlichste entgegengetreten", sagte Ketterle.
Die Opfer hätten sich ernst genommen gefühlt, und sie hätten erlebt: "Endlich hat ihnen jemand geglaubt, und das hatte Folgen. Nach Jahren und Jahrzehnten der Bagatellisierung, des Kleinredens und Wegsehens ist das eine ganz entscheidende Erfahrung."
Kritik am System der Opferentschädigung
Der Landgerichtspräsident kritisierte auch das System der Opferentschädigung in der Kirche. Die dafür zuständige "Unabhängige Kommission" sei von den Bischöfen mitbestimmt worden. Auch bei den Entschädigungssummen rede die Kirche ab einer bestimmten Höhe mit.
"Die Entscheidungen sind weder transparent noch einer neutralen Beurteilung von außen zugänglich. Im Grunde ist das Verfahren eine 'Blackbox'", sagte er. "Das alles halte ich für ausgesprochen nachteilig, nicht zuletzt, weil damit die notwendige Weiterentwicklung eines so sensiblen Bereichs wie der Opferentschädigung nach Sexualstraftaten erschwert oder verlangsamt wird."