"Entschuldigung, sind Sie von hier?", fragt der Mann mich. Wir beiden begegnen uns am Samstagmittag auf einer Straße mitten im Zentrum von Augsburg - und sind weit und breit die einzigen Menschen. Ich bejahe. "Was ist denn hier los?", will der Mann wissen. "Hier ist ja alles zu, alles ist wie ausgestorben!" Ich erkläre: "Heute ist das Augsburger Friedensfest - der einzige Feiertag in Deutschland, der bloß in einer Stadt gilt." Der Mann schaut ungläubig. "Aha." Mehr will er gar nicht wissen, wendet sich ab, geht weiter, dreht sich dann doch noch mal um. "Und heute ist wirklich alles zu?"
Alles nicht, Restaurants und Cafes haben geöffnet. Am Rathausplatz etwa. Einzelne Tischchen stehen dort. Normalerweise würden sich da heute viele Hundert Augsburger auf Bierbänken aneinanderreihen und gemeinsam picknicken - denn normalerweise gäbe es heute die öffentliche Freiluft-Friedenstafel, vergangenes Jahr zählte sie rund 1.800 Teilnehmer. Doch 2020 ist alles anders - natürlich wegen Corona.
Digitale Friedenstafel
Deshalb findet die Friedenstafel diesmal nur digital statt. Unter dem Hashtag #friedenteilen veröffentlichen Bürger in den sozialen Medien Texte und Bilder von privaten Picknicks. So schreibt eine Familie Hipple: "Zum Augsburger Hohen Friedensfest für die Nachbar*innen Friedenstauben geholt und 'Frieden verschenkt'." Die Tauben sind ein Spezial-Gebäck zum Spezial-Feiertag. Sie tauchen immer wieder auf den #friedenteilen-Fotos auf. Dazu kommen passende Vogel-Emojis - das Friedensfest flutet das Netz mit Tauben samt Ölzweig im Schnabel. Die Leute laden sie von überallher hoch - mal aus einem Schrebergarten, mal vom Flussufer und mal vom heimischen Balkon.
Der Rathausplatz ist bei diesem Friedensfest also ausnahmsweise nicht im Zentrum des Geschehens. Das Rathaus selber schon. Dort drin steht nämlich erstmals nach drei Jahren wieder die Bekanntgabe eines neuen Friedenspreisträgers an. Die Stadt Augsburg und die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern haben den Preis 1985 ins Leben gerufen, um Verdienste zur Verständigung zwischen Konfessionen und Religionen zu würdigen. Damit erinnert der Preis an die Entstehung des Friedensfestes, das erstmals 1650 gefeiert wurde, nachdem die Protestanten das Recht zur Religionsausübung und ihre Kirchen wiedererlangt hatten.
Friedenspreis an Kardinal Marx und Landesbischof Bedford-Strohm
Kurz vor Mittag verkündet dann Augsburgs Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU): Die mit 12.500 dotierte Auszeichnung, die am 10. Oktober verliehen werden soll, geht gleich an zwei Personen - den katholischen Münchner Kardinal Reinhard Marx (66) und den evangelischen bayerischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm (60). Die Geistlichen konzentrierten sich auf das, was sie verbinde - den gemeinsam gelebten Glauben und ein friedvolles Miteinander, sagt Weber.
Der evangelische Augsburger Regionalbischof Axel Piper ergänzt als Jury-Vorsitzender, den Preisträgern sei es maßgeblich zu verdanken, dass das Reformationsgedenken 2017 "als Christusfest und damit als Fest der Gemeinsamkeit und nicht der Trennung" gefeiert worden sei. Marx und Bedford-Strohm wirkten "auf einen Frieden als lebensfördernde göttliche Ordnung und Orientierung in unserer Welt hin".
"Pioniere des Friedens"
Der katholische Augsburger Bischof Bertram Meier teilt mit, Marx und Bedford-Strohm seien "Pioniere des Friedens". Er lobt: "Als 2015 die Flüchtlingskrise brodelte, haben beide im ökumenischen Schulterschluss ihre Stimme für Deutschland als gastfreundliches Land erhoben und konkrete Schritte für die Praxis der Flüchtlingspolitik gesetzt."
Marx selbst sagt in einer ersten Reaktion: "Das Christentum in Deutschland und in Europa wird nur eine Zukunft haben, wenn wir ganz stark ökumenisch zusammenarbeiten und zusammenbleiben." Und Bedford-Strohm äußert die Hoffnung, "dass wir auch im Hinblick auf ein gemeinsames Abendmahl weiterkommen. Ich sehe diesen Preis als öffentliches Zeichen dafür, dass man das von uns erwartet und als starke Ermutigung dafür, den Weg der Ökumene weiterzugehen."
Von wegen also "alles zu" in Augsburg. Die neuen Friedenspreisträger jedenfalls scheinen für Öffnung zu stehen.