Ein neuer Immobilienskandal erreicht die Spitze der Kurie

Glücksritter im Vatikan

Ein Spitzenbeamter der Kurie versenkt Millionen in einem windigen Immobiliengeschäft in London. Die Episode zeigt eine unheilige Verquickung von Finanzdruck, Machtbewusstsein und Dilettantismus.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
Polizei im Vatikan / © Marius Godoi (shutterstock)

In der jüngsten Immobilienaffäre des Vatikan gerät Kurienkardinal Giovanni Angelo Becciu unter Druck. Je mehr über die Investition in dreistelliger Millionenhöhe in ein Londoner Geschäftshaus bekannt wird, desto mehr Fragen gibt es auch über die Verwendung von Spenden für riskante Anlagen, die vatikanische Haushaltspolitik - und die Verantwortung von Becciu, damals zuständiger Abteilungsleiter im Staatssekretariat.

Es geht um die Adresse 60 Sloane Avenue in London, einen Büro- und Ladenkomplex in Chelsea. Geplant war, das 17.000-Quadratmeter-Gebäude bis auf seine historische Ziegelfassade zu entkernen, dort 49 Luxus-Apartments zu schaffen und mit sattem Gewinn zu verkaufen. Der Mann, der das managen sollte, war Raffaele Mincione, ein in London tätiger italienischer Geschäftsmann, der während der russischen Finanzkrise in den späten 1990er-Jahren eine glückliche Hand mit spekulativen Geschäften gezeigt hatte.

Recherchen der "Financial Times"

Nach Recherchen der "Financial Times" kaufte Mincione die Immobilie in der Sloane Avenue Ende 2012 über das von ihm gegründete Unternehmen 60SA mit Sitz am Offshore-Finanzplatz Jersey; der Kaufpreis betrug 129 Millionen Pfund, finanziert mit einem Kredit der Deutschen Bank über 75 Millionen. Als der Vatikan im Juli 2014 in den Handel einstieg, lag der Schätzwert bereits beträchtlich höher.

Das Staatssekretariat erwarb 45-prozentigen Anteil an 60SA über den Investmentfonds Athena Capital, dessen Anlagegegenstand praktisch allein aus der Immobilie bestand und der über eine Luxemburger Holding wiederum Mincione gehörte. Die Investition über 200 Millionen US-Dollar erfolgte laut "Financial Times", bevor der Umbau in ein Wohnhaus überhaupt genehmigt war.

Dann kamen der Brexit und eine neue Risikobewertung der Immobilienfinanzierung in London. Die Renditeaussichten waren plötzlich weniger rosig. Stattdessen zahlte der Vatikan nach Recherchen des italienischen Magazins "L'Espresso" jährlich gut 8 Prozent seiner Investitionssumme an Fondskosten in Luxemburg.

Zwischenzeitlich wurde Becciu auf seinem Posten für Allgemeine Angelegenheiten im Staatssekretariat im August 2018 von Egdar Pena Parra abgelöst. Im November trat die Behörde angesichts der Geschäftsentwicklung sozusagen die Flucht nach vorn an und kaufte Mincione seine restlichen 55 Prozent von 60SA ab, laut "Financial Times" für 168 Millionen Pfund. Gewinn für den Geschäftsmann: 128 Millionen.

Mit dem Gebäude übernahm der Vatikan die darauf lastenden Schulden.

Umfang des Schadens noch unklar

Um die Hypothek abzulösen, forderte Pena Parra von der Vatikanbank IOR 150 Millionen Euro an - Anlass für das Geldinstitut, dem vatikanischen Staatsanwalt gewisse Auffälligkeiten zu melden. Was folgte, waren Anfang Oktober die Durchsuchung einiger Büros, die Beschlagnahmung von Beweismaterial und die Suspendierung von fünf Mitarbeitern.

Unklar ist noch der Umfang des Schadens. Plötzlich werden aber wieder die Finanzstrukturen der Kirchenleitung ein Thema. Das Staatssekretariat verwaltet eine beträchtliche Summe, die nicht im regulären Haushalt auftaucht; die Rede ist von 650 Millionen Euro, die aus Zuwendungen der Bistümer weltweit, aber auch aus Spenden von Gläubigen für karitative Zwecke stammen.

Erträge aus diesem Fonds dienen, so heißt es im Staatssekretariat, unter anderem der Finanzierung der Nuntiaturen weltweit. Deren Zahl und Ausstattung ist in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen, und damit auch die Höhe der Ausgaben. Da über Zinsen keine Rendite zu erzielen ist, entschloss sich Becciu 2014 zu der "etwas gewagten Finanzaktion", wie es ein früherer Mitarbeiter formuliert.

Im Apostolischen Palast galt Becciu in seiner Zeit als Substitut von 2011 bis 2018 als einer, der die Fäden in der Hand behalten will - dafür legte er sich sogar mit dem 2014 installierten Finanzchef Kardinal George Pell an; auch am Rücktritt des vatikanischen Wirtschaftsprüfers Libero Milone 2017 war der machtbewusste Sarde nicht unbeteiligt.

Kaum denkbar, dass der Londoner Deal ohne den Willen Beccius zustande kam. Becciu selbst ist inzwischen Kardinal und für Heiligsprechungen zuständig. Im Visier der vatikanischen Staatsanwaltschaft steht unter anderem ein ehemaliger Sekretär Beccius; zur Frage, ob auch gegen den Kardinal ermittelt wird, äußerte sich der Vatikan nicht. "Theoretisch müsste Becciu die Konsequenzen ziehen", sagt ein Kurialer. "Aber die Logik des Heiligen Stuhls ist etwas anders."

Information: Der durch Medienberichte über ein verlustreiches Immobiliengeschäft unter Druck geratene Kurienkardinal Giovanni Angelo Becciu will sich zu der Affäre derzeit nicht öffentlich äußern. Auf eine Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) lehnte er an diesem Dienstag eine Stellungnahme zu seiner Rolle bei den Investitionen und zu einer möglichen persönlichen Verantwortung ab. Zur Begründung verwies er auf laufende interne Untersuchungen.


Kardinal Giovanni Angelo Becciu / © Romano Siciliani (KNA)
Kardinal Giovanni Angelo Becciu / © Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
KNA