Selig seien nicht die Mächtigen und Reichen, "sondern wer sich des Bruders oder der Schwester erbarmt", predigte Papst Franziskus beim Gottesdienst am Samstagabend in der chaldäischen Sankt-Josefs-Kathedrale.
Der Gottesdienst mit rund 500 Teilnehmern am zweiten Tag der Irak-Reise des Papstes war in mehrfacher Hinsicht von Symbolkraft. Als erstes römisches Kirchenoberhaupt feierte Franziskus die Messe im ostsyrischen Ritus. Der chaldäisch-katholische Patriarch Kardinal Louis Raphael I. Sako würdigte die Geste als "Umarmung für die ganze Kirche".
Täglich Zeugnis von der Liebe des Herrn ablegen
In seiner Predigt ging der Papst auch auf das Schicksal der christlichen Märtyrer ein, die es in den vergangenen Jahren im Irak gegeben habe. Sie hätten wegen ihres Glaubens "Vorurteile, Beleidigungen, Misshandlungen und Verfolgung" erlitten. Doch ihre Liebe sei stärker als die Sünde.
Wer die Weisheit Jesu lebendig mache, könne die Welt verändern, so der 84-Jährige. Dafür würden keine übermenschlichen Kräfte benötigt. Vielmehr gehe es darum, täglich Zeugnis von der Liebe des Herrn abzulegen. Immer wenn der Mensch den Bund mit Gott gebrochen habe, sei ihm vergeben worden. Denn die Liebe empöre sich nicht - "sie beginnt immer wieder neu".
Patriarch Sako dankte dem Argentinier angesichts der angespannten Sicherheitslage im Irak für seinen Besuch "unter außergewöhnlichen Umständen". Dass er als Pilger gekommen sei, "der für eine menschlichere, brüderlichere, geeintere und friedlichere Welt betet, erfüllt uns mit Hoffnung", so der Kardinal. Dies werde dazu beitragen, die schmerzhafte Vergangenheit des Krisenlandes zu überwinden, um Frieden und Versöhnung zu erlangen.
Papst in Abrahams Heimat: Hass ist Verrat an der Religion
Zuvor hatte Papst Franziskus in der geschichtsträchtigen irakischen Stadt Ur für interreligiöse Verständigung geworben. Gemeinsam sollten die Gläubigen in der Welt sich gegen Terror und Gewalt stellen.
Ohne Beisein von al-Sistani, aber in seinem Geist warb Franziskus in Ur, einem zentralen Ort für die irakische Identität, für eine Mitgestaltung der Religionen in der Gesellschaft. In der antiken sumerischen Stadt, die nach biblischem Zeugnis die Heimat Abrahams ist, leitete er ein interreligiöses Treffen. Juden, Christen und Muslime beziehen sich auf Abraham als gemeinsamen Stammvater. Vor den Ruinen Urs und dem 4.000 Jahre alten Stufentempel in der Wüste des Südirak beschwor er Vertreter aller Glaubensgemeinschaften, jeglichem Hass entgegenzutreten.
Als Grundlage dafür verweist der Papst auf die gemeinsame Gotteskindschaft aller Menschen; Religionen betrachtet er als Wegbereiter der Verständigung: "Wir dienen Gott, um aus der Sklaverei des Ichs herauszukommen", sagte er.
"Geschwisterlichkeit"
Wahre Religiosität bedeutet nach den Worten von Franziskus: "Gott anbeten und den Nächsten lieben." Feindseligkeit, Extremismus und Gewalt seien hingegen "Verrat an der Religion". Auf dem Platz vor der Wohnstätte des Vaters Abraham scheine es, "als würden wir nach Hause zurückkehren", so das katholische Kirchenoberhaupt in seiner Ansprache. In der heutigen Welt, die oft ein verzerrtes Bild von Gott zeichne, seien die Gläubigen aller Religionen aufgerufen, seine Güte zu bezeugen. Dies funktioniere am besten, indem man sie durch "Geschwisterlichkeit" sichtbar mache.
"Vom Haus unseres Vaters Abraham aus bekräftigen wir: Gott ist barmherzig, und die größte Beleidigung und Lästerung ist es, seinen Namen zu entweihen, indem man den Bruder oder die Schwester hasst. Wir Gläubigen dürfen nicht schweigen, wenn der Terrorismus die Religion missbraucht. Im Gegenteil, es liegt an uns, Missverständnisse durch Klarheit aufzulösen."
Terror und Krieg
In den vergangenen Jahren hätten sich über dem Irak "die dunklen Wolken" von Terror, Krieg und Gewalt zusammengebraut, so der Argentinier weiter. Alle ethnischen und religiösen Gemeinschaften hätten darunter gelitten - vor allem die Jesiden. Viele ihrer Männer seien getötet, Tausende Frauen, Mädchen, Kinder entführt, versklavt und zwangskonvertiert worden.
"Lassen wir nicht zu, dass das Licht des Himmels von den Wolken des Hasses verdeckt wird", mahnte der Papst. Grundrechte wie die Gewissens- und Religionsfreiheit müssten überall respektiert und anerkannt werden. Aufgabe der verschiedenen Religionen sei es, durch "konkrete Schritte" für Gerechtigkeit, Frieden, und den Wert des Lebens in der ganzen Welt einzutreten. Wahrer Frieden sei allerdings nur möglich, wenn man einander die Hand reiche, sagte der 84-Jährige.
Interreligiöses Gebet
Im Anschluss an die Rede sprachen die bei der Zeremonie anwesenden "Söhne und Töchter Abrahams" ein interreligiöses Gebet, in dem sie die Verdienste des Stammvaters würdigten.
Die Bibel erzählt, wie Gott Abraham aufforderte, die Sterne zu zählen - so zahlreich sollten seine Nachkommen sein. Franziskus greift dieses Bild der Verheißung auf: "Es liegt an uns, den Mut zu haben, den Blick zu erheben und die Sterne zu betrachten, die Sterne, die unser Vater Abraham gesehen hat, die Sterne der Verheißung."
Frieden statt Sieger und Besiegte
In der von Konflikten zerrissenen Region mahnte der Papst, es werde keinen Frieden geben "ohne Völker, die anderen Völkern die Hand reichen". Ohne das Ringen des Iran und arabischer Staaten um die Vorherrschaft im Mittleren Osten als Beispiel zu nennen, warnte er, Bündnisse gegeneinander verstärkten nur die Spaltung. "Frieden erfordert weder Sieger noch Besiegte, sondern Brüder und Schwestern, die trotz der Missverständnisse und Wunden der Vergangenheit den Weg vom Konflikt zur Einheit gehen."
Die Wunden im Irak sind nach mehr als 40 Jahren Krieg und schwierigen Bemühungen um Wiederaufbau weiterhin tief; manche bluten noch, wie nach den Verfolgungen der Jesiden und Christen unter dem Terrorregime des "Islamischen Staats" im Nordirak. Dorthin will Franziskus am Sonntag reisen.
Jesiden begrüßen Papstbesuch im Irak - "Meilenstein"
Die Jesiden in Deutschen werten die Reise von Papst Franziskus in den Irak als einen "Meilenstein" in der Geschichte des Landes. "Mit dem Papstbesuch wird die Welt noch einmal auf den Irak schauen, auf die Situation der Jesiden und Christen. Der Öffentlichkeit wird nicht entgehen, dass die Uhr für Christen und Jesiden im Irak auf eine Minute vor zwölf steht", sagte der Vorsitzende des Zentralrates der Jesiden in Deutschland, Irfan Ortac, (Freitag) in Düsseldorf.
Die Hauptverantwortung für die schlechte Lage der Jesiden liege nicht nur beim "Islamischen Staat", so Ortac. Irakische Politiker stellt sich "stumm, taub und blind, wenn sie auf die Verfolgung von Christen und Jesiden angesprochen" würden.
Ortac äußerte die Hoffnung, dass die Missstände bei dem Besuch deutlich angesprochen würden. Franziskus sei «für seine Menschlichkeit und Güte bekannt". Seit seiner Papstwahl werbe er für den interreligiösen Dialog. Er sei sich sicher, dass Franziskus "hinter verschlossenen Türen deutliche Worte finden wird", so der Zentralratsvorsitzende. Die Weltgemeinschaft forderte er erneut auf zu handeln.
Der Vorsitzende des Religionsrates der deutschen Jesiden, Sheikh Ali Saydo, erklärte, dass der Papstbesuch für alle Religion im Irak wichtig sei. "Insbesondere, dass er mit den Vertretern der Religionen für den Frieden beten wird, erachte ich als sehr notwendig. Denn wir alle brauchen den Frieden. Wir alle sind Geschöpfe Gottes", sagte er. Peshimam Sheikh Faruk werde die Jesiden in Ur bei dem Gebet vertreten. In Erbil werde Franziskus den spirituellen Führer der Jesiden treffen, Sheikh Ali Elyas.
Jesiden sind eine religiöse Minderheit unter den Kurden. Weltweit hat die monotheistische Religionsgemeinschaft mehrere hunderttausend Mitglieder. Die Jesiden leben vor allem im nördlichen Irak; viele sind jedoch vor der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) geflüchtet. Auch in Westeuropa gibt es inzwischen jesidische Gemeinden; nach Informationen der Bundeszentrale für politische Bildung findet sich die weltweit größte Diasporagemeinde in Deutschland. Rund 150.000 Jesiden gehören ihr demnach an.