Als eine der höchsten Formen der Barbarei gilt die Zerstörung von Gotteshäusern. Selbst in Gesellschaften, die an keinen Gott mehr zu glauben scheinen. Der Schrecken über die Verwüstung heiliger Stätten ist alt, uralt - schon in den frühen animistischen Stammeskämpfen sollte der Abgott des Unterlegenen durch die Zerstörung seines Totems entweiht werden. Dieser Schock sitzt tief im kulturellen Gedächtnis der Menschheit.
Die am Donnerstag erfolgte Zerstörung der Al-Nuri-Moschee im irakischen Mossul durch die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) birgt eine zusätzliche Dimension: Muslime zerstören Gebetsstätten von Muslimen - noch dazu die Moschee, in der der IS-Führer Abu-Bakr al Bagdadi 2014 sein "Kalifat" ausgerufen hatte. Das klingt nach einer Taktik der verbrannten Erde: dem Feind soll nichts mehr in die Hände fallen, was von hohem symbolischen Wert für die eigene Bewegung war.
Richtungskämpfe innerhalb der eigenen Religion
Der Schändung zuvorkommen durch Selbstzerstörung. Dabei sind Richtungskämpfe innerhalb der eigenen Religion keine muslimische Spezialität. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts bekämpften Christen Christen. Französische Ritter und venezianische Seeleute plünderten Konstantinopel. Dieser Kreuzzug zwischen 1202 und 1204 ruinierte die Beziehungen zwischen dem griechisch-orthodoxen Osten und dem römisch-katholischen Westen für lange Zeit.
Aber warum das alles? Der Feldzug gegen Byzanz diente dem Schutz der "Lateiner" in Konstantinopel, einer handelsprivilegierten Minderheit, die den Hass der byzantinischen Bevölkerung auf sich zog. Es ging um Pfründe, nicht ums Heil. Das Beispiel zeigt: Unter dem Gewand eines religiösen Konfliktes stecken oft knallharte wirtschaftliche oder machtpolitische Interessen. Schwierig ist es, Habgier und religiöse Inbrunst auseinanderzuhalten.
Klosterbrände und Bilderstürme
Gerade Bruderkriege befremden viele Menschen offenbar noch mehr, als wenn es in einem "Clash der Kulturen" zu Zerstörungen zwischen verschiedenen Religionen kommt. Ein Beispiel: der blutige Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken, der im Dreißigjährigen Krieg 1618 bis 1648 sechs Millionen Menschen das Leben kostete. Von der "Naturkatastrophe" zeugen heute noch Berichte über Klosterbrände und Bilderstürme.
Dass wie im Zweiten Hugenottenkrieg die Protestanten in Orleans 1568 die katholische Kathedrale sprengten, war allerdings die Ausnahme. Der gängige Weg bestand eher in der Umwidmung des Sakralbaus oder radikaler noch: in dessen weltlicher Zweckentfremdung.
Heute erweist sich das Christentum im öffentlichen Raum gemeinhin als Besitzer und Hüter wichtiger Kulturdenkmäler. Werden diese zerstört, vor allem dann wenn sie zum Unesco-Weltkulturerbe gehören, gilt das als Gipfel des Frevels. Hin und wieder drängt sich da die Frage auf, ob der Verlust von Bausubstanz bei manchen schwerer wiegen kann als der Verlust von Menschenleben.
Zerstörung Dresdens eher im Gedächtnis als die Kölns?
Ein Gedankenexperiment: Kann es sein, dass sich die Zerstörung Dresdens in das kulturelle Gedächtnis tiefer eingebrannt hat als etwa die Zerstörung des nicht minder verwüsteten Köln, weil in Dresden die Frauenkirche zerstört wurde und als Ruine zum Mahnmal des Friedens stehen blieb, während der schwerbeschädigte, aber wiederhergestellte Kölner Dom als Hoffnungsträger unter den Rheinländern wieder Optimismus verströmte?
In der jüngeren Vergangenheit sorgten die spektakulären Zerstörungen der riesigen Buddha-Statuen im afghanischen Bamiyan durch Taliban-Milizen 2001 international für Schlagzeilen. Ähnlich verhielt es sich unlängst mit der Zerstörung Palmyras, des archäologisch bedeutsamen Weltkulturerbes in Syrien. Die Unesco sprach von "Kriegsverbrechen".
Vieles geht aber an der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit nahezu spurlos vorbei. Etwa die Verwüstung von 294 Gotteshäusern in der chinesischen Provinz Zhejang 2014, mutmaßlich auf Geheiß der Regierung. Oder die Attacken auf christliche Einrichtungen in Ägypten. Oder die Zerstörung von Kirchen im Nordirak.
Attacken von Christen, Muslimen und Buddhisten
Anfang dieses Jahres verwüsteten radikale Buddhisten im Norden von Sri Lanka die Kirche einer kleinen christlichen Gemeinde in Paharaiya. In Bangui in Zentralafrika dagegen machten wütende Christen in drei Stadtteilen Moscheen mit Spitzhacken dem Erdboden gleich. Als Rache für islamistische Angriffe. "Ich zerstöre im Namen Jesu", soll an einer Mauer gestanden haben.
Noch ist schwer abzusehen, ob sich eines dieser Ereignisse langfristig im kulturellen Gedächtnis festsetzen wird. Zumindest bei jenen historisch bewanderten Zeitgenossen, die bis heute die Plünderung Roms (Sacco di Roma) 1527 durch deutsche, spanische und italienische Söldnerheere vor Augen haben. Oder den Untergang von Tenochtitlan, der Hauptstadt der Azteken, und die Zerstörung des Tempels in Jerusalem im Jahre 70. In diesen Fällen gilt: Steine erweichen uns mehr als Menschen - oder sie bleiben zumindest länger im Gedächtnis.