Nur noch vereinzelt bleiben Fußgänger kurz vor dem Zaun stehen, zücken ihre Handykameras. Der große Andrang am Grab von Helmut Kohl ist längst vorüber. Als der frühere Bundeskanzler vor fünf Jahren, am 16. Juni 2017, im Alter von 87 Jahren starb, pilgerten anfangs noch Menschenmassen in den Speyerer Adenauerpark.
Dort, auf dem ehemaligen Friedhof der Domstadt am Rhein, befindet sich sein von Videokameras überwachtes Grab. Ein schlichtes, von Sträuchern umwachsenes Holzkreuz mit der Inschrift "Helmut Kohl 3.4.1930 -16.6.2017" erinnert an den Kanzler der Einheit, links daneben steht ein Vogelhäuschen. Ein Grabstein fehlt noch.
Direkt am umzäunten Grab in dem öffentlichen Park führt ein Fußgängerweg vom nahe gelegenen Bahnhof vorbei. Nur wenige Meter entfernt ist ein Kinderspielplatz. Der noch immer provisorische Grabzustand sorgt für Diskussionen in der Bevölkerung und den Medien - sowie bei den beiden Kohl-Söhnen Walter und Peter für Unmut: Sie werfen der Witwe Maike Kohl-Richter als Nachlassverwalterin vor, die bescheidene Grabstätte sei "unwürdig" für den ehemaligen Kanzler, CDU-Vorsitzenden und europäischen Staatsmann. Am 1. Juli 2017 war Kohl dort nach einer Trauerfeier im Speyerer Dom unter der Teilnahme von Staatsgästen aus aller Welt bestattet worden.
Vorwürfe von Walter Kohl
Es sei eine "Schande", dass das Grab auch nach fast fünf Jahren "einem lieblosen Provisorium" gleiche, sagte Walter Kohl im vergangenen März der "Bild am Sonntag". Bei der Wahl des Ortes und der Gestaltung des Grabes sei die Familie nicht eingebunden gewesen, kritisiert der Kohl-Sohn, der eine Umbettung seines Vaters wünscht: Der Altkanzler habe für sich selbst einen Platz im Familiengrab in Ludwigshafen-Friesenheim an der Seite seiner 2001 verstorbenen ersten Ehefrau Hannelore vorgesehen. Das Verhältnis der Söhne Kohls zu dessen zweiter Ehefrau Maike Kohl-Richter gilt als zerrüttet.
Zuletzt bat die Oberbürgermeisterin der Stadt Speyer, Stefanie Seiler (SPD), die Kohl-Witwe schriftlich, das Grab nun zeitnah "final" herzustellen. Diese hatte sich 2017 dazu verpflichtet, ihre Pläne mit dem Domkapitel und der Stadt Speyer abzustimmen. Fünf Jahre nach der Beisetzung Kohls sei es aus Sicht der Stadt an der Zeit für eine endgültige Gestaltung des Grabes, sagte eine Sprecherin. Dies schließe auch einen Rückbau der Umzäunung und der Videobewachung ein.
Keine neuen Entwicklungen
Die Maßnahmen seien einst von Maike Kohl-Richter gewünscht worden, um Vandalismus am Grab zu verhindern. Vorfälle habe es aber nicht gegeben. Nach einem ersten Gespräch mit der Kohl-Witwe gebe es bisher "keine Ergebnisse", erklärte die Stadtsprecherin.
Maike Kohl-Richter habe "alles gesagt, was jedenfalls aus ihrer Sicht zum Grab ihres Mannes öffentlich zu sagen ist", teilte ihr Freiburger Anwalt Stefan Wieser mit. Sie hatte sich überrascht über den Vorstoß der Kommune gezeigt und erklärt, mit der Gestaltung des Grabes den letzten Willen ihres Mannes vollzogen zu haben.
Dennoch kursieren in der Öffentlichkeit seit Jahren Gerüchte, dass der Katholik Kohl gerne an der Seite der Kaiser, Könige und Bischöfe in der Speyerer Dom-Krypta bestattet worden wäre. Das Bistum Speyer habe einen entsprechenden Kanzlerwunsch zurückgewiesen, versichert ein Mitglied des Dombauvereins. Dies gelte auch für die Alternative, eine Grabstelle auf dem Friedhof des Domkapitels am Rande des Adenauerparks.
Ein finaler Gestaltungsentwurf für das mit weißem Sandstein eingefasste Kohl-Grab sei bisher nicht vorgelegt worden, bestätigt das Bistum Speyer, das sich zur Sache nicht weiter äußern will. Auch die CDU Deutschland will sich nicht an der Debatte um die Gestaltung und Pflege des Kanzlergrabes beteiligen. Dies sei "eine rein private Angelegenheit", sagte ein Sprecher in Berlin.
Spekulationen um Grabstätte
Spekulativ bleibt die Frage, warum der auf seinen Platz in den Geschichtsbüchern bedachte Kohl nach seinem Tod kein repräsentatives Ehrengrab erhielt. Symbolträchtig ist der Begräbnisort für den überzeugten Europäer im Adenauerpark allemal: Nur durch eine Hecke getrennt, befindet sich dahinter die katholische Friedenskirche St. Bernhard, ein Symbol der Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen. Ihr Grundstein wurde 1953 im Beisein des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer und des französischen Außenministers Robert Schuman gelegt.
Die deutsch-französische Aussöhnung sei ein Herzensanliegen Kohls gewesen, betont Roman Nitsch, der Geschäftsführer der Europäischen Stiftung Kaiserdom zu Speyer. Kohl war als Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung sowie zuvor als Mitglied des Kuratoriums des Dombauvereins ein großer Förderer des fast 1.000 Jahre alten Unesco-Kulturerbes. Die Lage des Grabes bei der Friedenskirche und in einem Park, der nach dem ersten Bundeskanzler Adenauer benannt ist, erscheine der Stiftung für den Ehrenbürger Europas "nicht unangemessen", sagte Nitsch. Zu Kohls 92. Geburtstag im April hatte die Stiftung eine Bronzebüste zu Ehren Kohls enthüllt, direkt am Dom, der größten romanischen Kathedrale der Welt.