Häusliche Gewalt ist kein Tabu-Thema mehr - Minister Laschet im domradio-Interview

"Der Täter muss gehen, nicht das Opfer!"

Im vergangenen Jahr hat die Polizei Nordrhein-Westfalen 22.586 Fälle von Häuslicher Gewalt bearbeitet. Das sind über 2.000 Fälle mehr als im Jahr davor. Seit Inkrafttreten der gesetzlichen Vorschrift in 2002 ist die Zahl der polizeilichen Interventionen bei häuslicher Gewalt stetig angestiegen. "Die Opfer wissen heute, dass sie sich auf Polizei und Justiz verlassen können. Deshalb wenden sie sich vertrauensvoll an diese Helfer", sagt Minister Armin Laschet im domradio-Interview.

 (DR)

domradio: Wie kommt das, dass die Zahl der gemeldeten Fälle in NRW stetig ansteigt?
Laschet: Mein Eindruck ist, dass immer mehr Opfer wissen, dass sie sich auf Polizei und Justiz verlassen können und sich vertrauensvoll und inzwischen auch öffentlich an diese Helfer wenden. Früher ist diese Gewalt vielleicht häufig in Kauf genommen worden, man hat da nicht drüber geredet. Dass es 2.000 gemeldete Fälle mehr sind als im Vorjahr zeigt, dass hier ein Vertrauensverhältnis entstanden ist.

domradio:  Von den über 22.000 Strafanzeigen im vergangenen Jahr ist „Körperverletzung" bzw. "gefährliche Körperverletzung" die häufigste Form häuslicher Gewalt. Wie kann der Kreislauf der Gewalt durchbrochen werden?
Laschet: Das ist zunächst eine Frage der Werte, die in einer Familie gelten. Ist Gewalt ein Mittel, das man in einer Auseinandersetzung nutzt, oder nicht? Das beginnt schon in der Erziehung, in der man die Kinder darauf vorbereiten muss, dass Gewalt  kein Mittel sein darf. Dennoch findet Gewalt statt. Und das ist keine Privatangelegenheit. Man muss diejenigen schützen, die Opfer von Gewalt werden. Darüber gibt es seit einigen Jahren eine intensive öffentliche Debatte, so dass sich das Klima sicher verbessert hat.

domradio: Das heißt auch, dass es nicht mehr Fälle häuslicher Gewalt gibt, sondern dass immer mehr Fälle gemeldet werden. Warum ist es so wichtig, dass häusliche Gewalt nicht als Privatsache abgetan und ignoriert wird?
Laschet: Es sind unterschiedliche Menschen, die hinschauen müssen und helfen müssen. Wir haben ja inzwischen auch die rechtlichen Möglichkeiten, dem der Gewalt ausübt, die Grenzen aufzuzeigen. Der Täter muss gehen, muss die Wohnung verlassen, nicht das Opfer! Es war ja lange so, dass die Opfer die Wohnung verlassen und Zuflucht gesucht haben. Im letzten Jahr hat die Polizei und die Justiz in 10.800 Fällen, mittels des Rechtsmittels der Wohnungsverweisung den Tätern Hausverbot erteilt. Sonst muss das Opfer noch zusätzlich die Last tragen, Zuflucht zu finden, womöglich noch mit den Kindern.

domradio: Die Bereitschaft der Gesellschaft, diese Gewalthandlungen als Skandal und klare Rechtsverstöße einzustufen, wächst. Woran liegt das?
Laschet: Gewalt wird heute insgesamt anders gesehen, als noch vor 30 oder 40 Jahren. In der Erziehung wird Gewalt nicht mehr als Mittel angesehen. Man weiß ja, dass viele, die in der Kindheit selbst Gewalt erfahren haben, später leichter zur Gewalt an ihrer Familie neigen. Wir diskutieren das mittlerweile sogar über kulturelle Grenzen hinweg. Auch in Zuwanderergemeinschaften, wo es natürlich auch häusliche Gewalt gibt, gibt es inzwischen Kampagnen wie die der Zeitung Hürriet, die ganz offensiv dafür wirbt, dass auch in türkischen Familien Gewalt kein Mittel der Auseinandersetzung sein darf.

domradio: Wie hilft das Land NRW den Opfern häuslicher Gewalt schnell und effektiv?
Laschet: Wir haben eine umfangreiche Beratungslandschaft in NRW. Ein Teil ist das erwähnte Rechtsmittel der Wohnungsverweisung. Für die Opfer, die dennoch die Wohnung verlassen, vermittelt die Polizei zu 55 Frauenberatungsstellen und 62 Frauenhäusern und 47 Frauennotrufen im ganzen Land. Also ein ganzes Hilfe-Netz, wo jede und jeder, der Hilfe braucht, auch Hilfe erfährt.