Fastenaktion sieben Wochen ohne Lüge

Herausforderung und Chance

Die Evangelische Kirche lädt in der Fastenzeit dazu ein, sieben Wochen lang nicht zu lügen. Das kann eine Herausforderung sein, um sein Gegenüber nicht verbal zu verletzen. Und wie sieht es mit Notlügen aus? Sind die erlaubt?

 (DR)

DOMRADIO.DE: Die Aktion "7 Wochen Ohne" läuft ja schon seit 30 Jahren in der Evangelischen Kirche. Warum ist es dieses Mal das Lügen geworden, auf das man bewusst verzichten sollte?

Arnd Brummer (Geschäftsführer der Aktion "7 Wochen Ohne"): Es geht um Gemeinschaft und um den Versuch, sowohl liebevoll als auch wahrhaftig oder ehrlich miteinander umzugehen.

DOMRADIO.DE: Das ist unter Umständen gar nicht immer einfach. Man stelle sich folgende Situation vor: Man wird zum Essen eingeladen, das Essen schmeckt nicht, aber man lobt es trotzdem. Es ist eine Notlüge, um den anderen nicht zu verletzen, aber eine Lüge bleibt eine Lüge.

Brunner: Bei dem von Ihnen gerade angeführten Beispiel wäre es auch möglich, auf die Frage der Gastgeberin zu antworten: "Du bist eine großartige Gastgeberin und hast dir große Mühe gegeben. Geschmacklich war es nicht so ganz meine Sache. Mir war zu viel Pfeffer drin."

Das hätte zwei Vorteile: Ich kann trotzdem wahrhaftig sein und liebevoll. Und ich gebe der Gastgeberin die Chance, wenn sie uns wieder einladen will, Rücksicht auf unsere geschmacklichen Prägungen und Vorlieben zu nehmen.

DOMRADIO.DE: Sie haben auf Ihrer Internetseite eine Umfrage gestartet, was beliebte Lügen sind. Was ist dabei herausgekommen?

Brummer: Das kann ich Ihnen noch nicht so genau sagen. Aber das gehört dazu. Die Antwort "Der Mantel steht dir gut" auf die Frage "Wie steht dir der Mantel?" kommt auch vor.

DOMRADIO.DE: Sie geben auch einen Fastenkalender heraus, der einen begleiten soll. Kann der dabei helfen, weniger zu lügen?

Brummer: Laut Rückmeldungen ja. Wir haben zahlreiche Rückmeldungen aus Fastenkreisen erhalten. Es sind über drei Millionen Leute an der Aktion beteiligt. Es wird einem erklärt, dass es nicht um eine absolute Wahrheit geht. Das sagt der Theologe Tillich zu Recht: Die absolute Wahrheit ist Gott. Wir können sie nicht besitzen, wir können nur bitten und beten, ihr möglichst nahezukommen.

Aber der Versuch wahrhaftig zu sein, seine Wahrnehmung wiederzugeben und sie nicht zur absoluten Wahrheit zu erheben, ist schon ein wichtiger Punkt im Ehrlichsein. Wenn ich sage: Ich habe den Eindruck, dass das und das in Deutschland nicht gut läuft, ist es etwas anderes, als wenn ich sage: Dieses Land bringt nichts auf die Reihe. Das zu lernen, zu unterscheiden und zu reflektieren, ist der Sinn der Fastenzeit. Zu beschließen, mal eine andere Perspektive einzunehmen.

Das Wort "fasten" ist ein altgermanisches Wort, das uns auch im Englischen in "Fasten your seatbelts" begegnet. Es heißt "schließen", "beschließen" und "sich entscheiden". Wenn man die Zeit nutzt, um einen anderen Blick auf sein Leben zu werfen - möglicherweise auch in Gemeinschaft mit Freunden und Familie - dann ist das ein ganz guter Satz. Das sagen uns die Rückmeldungen.

DOMRADIO.DE: Es gibt den Begriff der Notlüge. Ist das Ihrer Ansicht nach zulässig, wenn man mal lügt, um sich und andere zu schützen?

Brummer: Im Sinne unserer christlichen Grundlage ist die Liebe Gottes und die Liebe untereinander, die Nächstenliebe, das Wichtigste und steht an Nummer eins. Wenn Liebe und Regeln aufeinander prallen, kann im Zweifel die Regel gebrochen werden und nicht die Liebe.

Wenn man zum Beispiel jemanden vor 80 Jahren vor dem KZ bewahrt hat, ihn im Keller versteckt hat und gesagt hat "Ich weiß auch nicht wo unser Nachbar ist" - ihn also mit einer Notlüge vor Tod und Qual gerettet hat - dann ist die Notlüge ein wahrhaftiges Beispiel der Liebe, während die sogenannte Wahrheit der Nazis, genau wie die der Stalinisten oder jetzt des IS, der religiösen Fundamentalisten, verlogen ist. Das heißt, die Notlüge kann als wahrhaftige Liebe wahrgenommen werden.

DOMRADIO.DE: Sie sind natürlich auch Teil der Aktion "7 Wochen ohne Lügen". Welche Erfahrungen haben Sie persönlich bislang seit Aschermittwoch gemacht?

Brummer: Mir selbst ehrlich gegenüberzutreten. Wenn ich zum Beispiel morgens vorm Spiegel stehe, um mich auf den Tag vorzubereiten. Oder mir auch in dem beschriebenen Sinne im Umgang mit meinen Mitmenschen und Nachbarn das Absolute abzugewöhnen, wie "Klasse, wie du das gemacht hast."

Und grundsätzlich auch Aussagen als meine Wahrnehmung sichtbar zu machen und dadurch wahrhaftig zu sein, dass ich sage: Ich nehme wahr, dass du hier ein bisschen sehr offensiv vorgehst, anstatt zu sagen: Du bist sowieso nur ein Streit-Hansel. Das zu relativieren und das wahrhaftig rüberzubringen, ist der Versuch.

Das Interview führte Julia Reck.

 

Quelle:
DR