Heribert Prantl kritisiert Flüchtlingspolitik der Union

"Das ist ein massiver Schritt weg von den Kirchen"

Wenn es nach ​Bundesinnenminister Thomas de Maizière geht, bleibt der Familiennachzug für syrische Flüchtlinge langfristig ausgesetzt. Gegenüber domradio.de kritisiert der Journalist Heribert Prantl das als "unchristlich".

Familiennachzug von Flüchtlingen / © Swen Pförtner (dpa)
Familiennachzug von Flüchtlingen / © Swen Pförtner ( dpa )

domradio.de: Die Unionsparteien stellen in ihrem Wahlprogramm die Familien unter ihren besonderen Schutz, "unabhängig von Herkunft und Lebenssituation der Eltern", wie es heißt. Wie passt das zum Familiennachzug, der ausgesetzt bleiben soll?

Heribert Prantl (Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung): Das passt gar nicht, das ist eine große Täuschung, das ist eine große Lüge. Bundesinnenminister Thomas de Maizière gibt das auch indirekt zu, indem er nämlich nach Herkunft unterscheidet, obwohl es im Wahlprogramm von CDU und CSU ausdrücklich heißt: "unabhängig von Herkunft und Lebenssituation der Eltern sind Familien und Kinder unser großes Glück und gehören besonders gefördert gemäß Artikel 6 Grundgesetz". Der wird aber für Flüchtlinge und Flüchtlingsfamilien ausgesetzt. Wie das zum CDU- und CSU-Programm und überhaupt zum "C" in der Union passen soll, weiß ich nicht.

domradio.de: Was treibt de Maizière dazu, diese Forderung auszusprechen? 

Prantl: Wir sind im Wahlkampf und da geht es immer noch darum, ein paar AfD-Sympathisanten zur CDU oder CSU zu locken. Insofern ist es fatal, da das Aussetzen des Familiennachzuges massiv integrationsfeindlich ist. Jemand, der in allerhöchster Sorge um seinen Ehepartner oder um sein Kind sein muss, die irgendwo Bomben ausgesetzt sind, der hat nicht die Kraft, sich einzulassen auf ein neues Land und sich zu integrieren. Der sitzt nicht in Ruhe im Integration- und im Sprachkurs, sondern der ist nur mit halbem Kopf und halbem Herzen da. Es ist fatal für die Integration, wenn jemand dann Integration propagiert und zeitgleich den Familiennachzug stoppt.

domradio.de: De Maizières Gegenargument ist, dass sonst eine große - vielleicht zu große - Zahl an Menschen nach Deutschland kommen würde. Was entgegnen Sie dem?

Prantl: Ich halte das für unsinnig. Er bläst in das Horn, in das schon Seehofer geblasen hat, wenn er von angeblich "unbegrenztem Familiennachzug" gesprochen und die Angst davor geschürt hat. Es geht höchstens um Ehepartner und um minderjährige Kinder, die nachkommen dürften. Es geht wirklich nur um den Kern der Familie. Es geht dabei um Menschen, die nachweislich vor Todesstrafe und Bürgerkriegen oder vor persönlicher Verfolgung geflohen sind, die aber aus irgendwelchen Gründen nicht das volle Asyl oder die volle Flüchtlingsanerkennung erhalten haben. Es geht wirklich um Menschen in bitterster Not und es geht um Menschen, die hier integriert werden sollen. Letztendlich ist das, was hier passiert, eine Abschreckungsaktion und eine Strafmaßnahme. 

domradio.de: Kommen wir auf das Stichwort Wahlkampf zurück: Sie haben gesagt, es ginge der Union um konservative Wähler. Glauben Sie, dass dieses Manöver Erlog haben wird?

Prantl: Ich glaube, die Union schadet sich damit selbst massiv. CSU und CDU trennen sich in der Flüchtlingspolitik von den Kirchen und ich halte das für die Partei gefährlicher, als es Seehofer und de Maizière wahrhaben wollen. Das verändert die DNA von CDU und CSU. Wenn man sich nur als konservativ-bürgerliche Partei definiert, dann ist das zu eng für eine große Volkspartei. Ich denke, aus einem hohen C, von dem manche man sehr gerne sprechen, darf kein hohles C werden. In der Flüchtlingsfrage sind CDU und CSU aber gerade dabei, aus dem hohen C ein hohles C zu machen. 

domradio.de: Im Wahlprogramm der Union werden auch mehr Flüchtlingsabkommen nach dem Stil des Türkei-Deals gefordert. Ist das ein weiterer Schritt weg von den Kirchen?

Prantl: Das ist ein massiver Schritt weg von den Kirchen. Die größten und wichtigsten Predigten, die in den Kirchen gehalten werden, fußen doch auf dem berühmten Evangelium des Apostels Matthäus, in dem er sagt: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." Das ist ein zentraler Satz der christlichen Botschaft. Es ist auch ein zentraler Satz des christlichen Abendlandes und einer christlichen Flüchtlingspolitik. Natürlich ist auch eine C-Partei nicht dafür da, jeden Tag das Evangelium in praktisch Politik zu übersetzen, aber wenn man sich so weit von den Kernsätzen entfernt, halte ich das für sehr bedenklich für eine Partei, die das Attribut "christlich" in Anspruch nimmt.

domradio.de: Gibt es denn nicht auch Stimmen in der Partei, die den aktuellen Kurs kritisieren?

Prantl: Ich halte die Kritik, die es gibt für zu leise. Da sind natürlich die alten Helden, wie Heiner Geisler, die den aktuellen Kurs immer wieder monieren. Aber aus der aktiven Politikerschaft der CDU und der CSU ist mir diese Kritik zu leise.

domradio.de: Warum?

Prantl: Aus Feigheit, aus Berechnung und auch deshalb, weil die Kanzlerin zu erkennen gibt, dass die Zeiten der so genannten "Willkommenskultur“ lang zurückliegen und an deren Stelle eine Politik der Abschreckung und der Abhaltung getreten ist.

Das Interview führte Christoph Paul Hartmann.


Ausgezeichnet: Journalist Heribert Prantl / © Lukas Barth (KNA)
Ausgezeichnet: Journalist Heribert Prantl / © Lukas Barth ( KNA )
Quelle:
DR