Knapp 800.000 Herrnhuter Sterne in verschiedenen Größen und Farben verlassen dieses Jahr die Manufaktur in der sächsischen Oberlausitz. Und an jeden einzelnen von ihnen hat mindestens eine Mitarbeiterin der Fertigung Hand angelegt. Wie viel Handwerk und Handarbeit in den Sternen steckt, sieht man eindrucksvoll beim Besuch der Schauwerkstatt - und kann es anschließend im "Bastelstübchen" selbst ausprobieren.
Das Unternehmen ist damit ein Tourismusmagnet und ein Wirtschaftsfaktor in dem 5.000-Seelen-Ort und der strukturschwachen Region. Über 64.000 Besucherinnen und Besucher kommen übers Jahr, 177 Menschen haben hier ihren Arbeitsplatz. In diesem Jahr feiert die Sternenmanufaktur 125-jähriges Jubiläum.
Sterne aus dem 19. Jahrhundert
Die Herrnhuter Sterne an sich sind freilich schon älter: Anfang des 19. Jahrhunderts leuchtete der erste dieser markant gezackten Sterne aus Papier und Pappe in den Internatsstuben der örtlichen Brüdergemeine. Dort lebten größtenteils Kinder, deren Eltern als Herrnhuter Missionare in widrige Teile der Welt zogen und ihren Nachwuchs zur Erziehung an den Stammsitz der protestantischen Bewegung schickten. Heute zählt die Freikirche, die mährische Glaubensflüchtlinge in Herrnhut gründeten, nach eigenen Angaben mehr als 1,2 Million Mitglieder weltweit.
Ihre 300-jährige Geschichte erzählt eine kleine Ausstellung in der Manufaktur. Da ist zu lesen, dass gerade in der Advents- und Weihnachtszeit die Trennung von den Eltern für die Internatszöglinge sehr schmerzhaft gewesen sei. So kam die Idee auf, die Kinder immer am ersten Advent Weihnachtssterne als Symbol der christlichen Friedensbotschaft für ihre Familien basteln zu lassen - gegen das Heimweh.
Vorlage aus dem Mathe-Unterricht
Ein pfiffiger Erzieher hatte die Idee, die Sterne im Mathematikunterricht als Vorlage zu verwenden - um ein besseres geometrisches Verständnis zu vermitteln. Er ließ die Kinder Sterne aus verschiedenen geometrischen Vorlagen bauen. So entstand die markante Form des dreidimensionalen Herrnhuter Sterns. Nur echt mit 25 Zacken, 17 davon mit viereckiger Grundfläche, 8 mit dreieckiger Grundfläche, aufgesetzt auf einen sogenannten Rhombenkuboktaeder; seit 1925 ein eingetragenes Patent.
Der Zusammenbau freilich ist eine kleine Kunst für sich und jeden Advent wohl auch vielerorts Anlass für manch' gepresstes Fluchen. Die zahlreichen Anleitungen auf Youtube sind beredtes Zeugnis des Hilfebedarfs. Mit beeindruckender Geschwindigkeit werden die Sterne indes von den Mitarbeiterinnen der Manufaktur geformt. Jede ist für einen bestimmten Arbeitsschritt zuständig. Da gibt es die "Steckerin" - in vier Minuten baut sie einen der kleinen Plastiksterne zusammen.
"Rähmchenkleberin"
Die "Spitzendreherin" fertigt rund 2.500 Zacken pro Tag. Die "Rähmchenkleberin" verpasst den ausgestanzten Papprähmchen einen Leimanstrich und setzt die Papierkegel auf - etwa 3.000 Stück am Tag.
Sie arbeiten Hand in Hand und im Schichtdienst. Ob sie manchmal auch einfach keine Sterne mehr sehen können? Über die Gesichter der Frauen huscht ein Lächeln, ein leichtes Stöhnen ist vernehmbar. Mögen die Sterne noch so schön sein, ihre Fertigung ist viel, oft eintönige Arbeit. Mehrere Tuben Handcreme stehen auf nahezu jedem Schreibtisch.
Ganzjährige Produktion
Mit dem boomenden Absatz tut sich auch ein Spannungsfeld auf zwischen handwerklichem Qualitätsanspruch und internationaler Nachfrage. Produziert wird das ganze Jahr. Denn längst kommen die Sterne nicht nur an Weihnachten zum Einsatz: Weiße leuchten bei Hochzeiten, rote am Valentinstag, blaue zu Unabhängigkeitstagen und grüne am irischen Saint Patrick's Day.
Die Sterne gibt es von acht Zentimetern Durchmesser bis zur XXL-Variante mit 2,5 Metern. Letztere leuchten etwa im Bundeskanzleramt in Berlin, im Europaparlament in Brüssel oder in der Kathedrale von Liverpool. Die kurioseste Bestellung kam aus Grönland - mit der Bitte, das Paket bis September zu verschicken, da man es sonst nicht mehr im Schnee finden könne, wenn es vom Postflugzeug abgeworfen werde. Die Lieferung ging pünktlich raus, mit dicker roter Schleife.