DOMRADIO.DE: Mit dem Beschluss folgt der Rat der Empfehlungen der Glockensachverständigen der pfälzischen Landeskirche, aber es gibt Stress?
Jan Hendrik Stens (Redaktion Theologie): Das Thema ist ja schon seit Sommer letzten Jahres ein Dauerbrenner und wurde teils durch tendenziöse Berichterstattung, aber auch durch unglückliche Äußerungen der Verantwortlichen in die Öffentlichkeit gezerrt. Außer lautstarker Empörung und einer gewissen Bockigkeit ist da bislang leider nicht viel bei herausgekommen. Dennoch ist jetzt zu einer Lösung gefunden worden, die ich persönlich gut finde: Die Glocke bleibt als unbequemes Mahnmal erhalten und tut auch weiter ihren Dienst. Gleichzeitig klärt die Gemeinde durch das Anbringen einer Mahntafel ihr Verhältnis zur Glocke und distanziert sich vom Inhalt der Inschrift und der Gestaltung.
DOMRADIO.DE: Laut Gesetz darf die Glocke weder verkauft, noch eingeschmolzen werden, aber sie könnte einfach ruhen und die evangelische Kirche in der Pfalz würde Gemeinden mit Glocken aus der Nazizeit sogar mit 150.000 Euro unterstützen, um neue Glocken anzuschaffen. Warum ist das keine Option?
Stens: Das wäre auch eine mögliche Option gewesen. Der Umgang mit Geschichte und Vergangenheit kann ganz unterschiedliche Formen haben. Nur kann man sie nicht austilgen oder ungeschehen machen. Daher hilft es auch nicht weiter, Relikte aus unliebsamen Zeiten einfach nur zu beseitigen. Man muss sich der eigenen Geschichte stellen. Bei einer Glocke kommt hinzu, dass sie in erster Linie ein akustisches Denkmal ist und daher auch nach Möglichkeit läuten sollte. Bronzeglocken aus der Zeit zwischen den Weltkriegen sind nur noch sehr wenige in Deutschland erhalten, weil die meisten davon bei der Ablieferung in den 1940er-Jahren noch sehr neu und daher von geringem historischem Wert waren. Insofern halte ich die getroffene Lösung in Herxheim für die richtige. Sie muss jetzt nur glaubwürdig umgesetzt werden, um die schrillen Töne der Begleitmusik für dieses Theater weniger werden zu lassen.
DOMRADIO.DE: Der Rat hat es sich nicht leicht gemacht mit dieser Entscheidung und will den Erhalt der Glocke mit einer Mahnung an die Vergangenheit knüpfen, was ist geplant?
Stens: Neben der Mahntafel, die in der Kirche angebracht werden soll, hat der Gemeinderat beschlossen, jedes Jahr zu Veranstaltungen einzuladen, die sich mit der Zeit des Nationalsozialismus oder mit Themen wie Gewalt und Unrecht in Geschichte und Gegenwart befassen. Wenn die Frucht des Herxheimer Glockenstreits nun wirklich eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Geschichte sein wird, dann hatte er auch etwas Gutes. Das wäre vielleicht beim einfachen Beseitigen der Glocke nicht so gekommen und demnach nur ein Akt der Verdrängung gewesen.
DOMRADIO.DE: Wie wichtig ist so eine Glocke eigentlich für eine Kirche, also der Klang?
Stens: Der Klang ist das Eigentliche der Glocke, also die Seele. Und das ist gänzlich unabhängig von Inschrift und Gestaltung. Der Glockenklang ist letztlich neutral und transportiert – ganz im Gegensatz zum islamischen Muezzinruf – bestenfalls indirekt eine Botschaft. Was der Hörer mit dem Glockenklang anfängt oder was er dabei empfindet, ist ihm selbst überlassen und damit subjektiv. Insofern gibt es auch Nichtchristen oder religiös unmusikalische Menschen, die gerne den Glockenklängen zuhören. Man werfe nur einen Blick auf die Domplatte hier in Köln, wenn der "decke Pitter" läutet – wenn er denn mal wieder läutet.
DOMRADIO.DE: Würde denn das Abschleifen der Inschrift Auswirkungen auf den Klang haben?
Stens: Nein, ein Abschleifen von Inschriften hat in der Regel keinerlei hörbare Auswirkungen auf den Glockenklang. Eine solche Austilgung empfehle ich aber grundsätzlich nicht, weil sie einmal Verdrängung bedeutet und auch die Vergangenheit nicht ungeschehen macht. Es gibt Glocken, deren Inschriften aus Zeiten stammen, in denen das Geläut auch bedeutet hat zu den Waffen zu greifen. Keiner würde das Läuten dieser Glocken heute als einen Aufruf zur Gewalt interpretieren.
Das Interview führte Silvia Ochlast.