DOMRADIO.DE: Ist die Heiligsprechung nur ein kirchliches Thema oder ist jetzt das ganze Land auf den Beinen? Wie erleben Sie die Stimmung in El Salvador so kurz vor der Heiligsprechung?
Bernd Finke (deutscher Botschafter in El Salvador und Ständiger Diakon im Bistum Münster): Eigentlich kann man hier in El Salvador Kirche und Land gar nicht richtig voneinander trennen. El Salvador versteht sich als christliche Nation. Es gibt hier viel Volksfrömmigkeit, die Kirchen sind voll. Die Kirche erreicht mit ihren Botschaften eigentlich auch noch alle Bevölkerungsschichten und Berufsgruppen.
Was die Heiligsprechung angeht, kann man sagen, die Kirche sitzt auf dem Fahrersitz, aber das ganze Land ist mit an Bord. Hier herrscht eine Art Ausnahmezustand, seit der Papst bekanntgegeben hat, dass er Romero am Sonntag heiligsprechen wird.
DOMRADIO.DE: Die Heiligsprechung selbst findet in Rom statt. Alle wichtigen kirchlichen und politischen Vertreter des Landes werden dort sein. Wie wird denn in El Salvador selbst gefeiert - wenn die Zeremonie stattfindet, wird es in El Salvador ja noch sehr früh am Morgen sein...
Finke: Ja das stimmt. Die Bischöfe sind alle in Rom, der Staatspräsident ist gestern Abend geflogen, und mit ihm fast 5.000 Salvadorianer, die am Sonntag den Petersplatz bevölkern werden. Wir haben acht Stunden Zeitdifferenz, wenn also die Veranstaltung losgeht, ist es hier Nacht. Die Feiern in El Salvador beginnen schon am Samstagabend - mit Messen und Gebetswachen in allen Pfarrgemeinden. Wenn der Papst die entscheidenden Worte spricht, werden im ganzen Land die Glocken läuten. Überall wird es Festgottesdienste und Live-Schaltungen nach Rom geben, und am Sonntag Konzerte zu Ehren Romeros. Dann gibt es noch einen offiziellen Festakt, der findet aber erst in zwei Wochen statt, wenn die ganze offizielle Delegation aus Rom zurückgekehrt ist.
Dann hat man die große Hoffnung, dass der Papst seine Teilnahme am Weltjugendtag in Panama im Januar auch mit einem Abstecher nach El Salvador verbindet. Und man die Heiligsprechung noch mal mit Franziskus feiern kann. Alle wissen, die Heiligsprechung wäre ohne den Papst sehr wahrscheinlich nicht zustande gekommen.
Die Stimmung hier ist gemischt, freudig und heiter, auch geschäftlich. Der Devotionalien-Handel blüht mit Romero. Und ich glaube das überwiegende Gefühl ist Stolz: Stolz auf den ersten Heiligen der Salvadorianer und mittlerweile auch Stolz auf diese weltkirchliche Dimension. Dass nun einer der Ihren zur Ehre der Altäre erhoben wird und vom Himmel nicht nur auf das kleine El Savador schaut, sondern auf den ganzen Kontinent und auf die ganze Welt. Aber es gibt auch eine kleine Gruppe, der der ganze Rummel ein bisschen zu viel ist und natürlich auch noch Salvadorianer, die weiterhin ein kritisches Verhältnis zu Romero haben.
DOMRADIO.DE: El Salvador ist ja bis heute ein Land in der Krise, weiterhin von Armut und Gewalt gebeutelt. De facto hat sich an den Verhältnissen, die Romero damals angeprangert hat, nicht viel geändert. Was bedeutet die Heiligsprechung für die Salvadorianer vor diesem Hintergrund?
Finke: Das ist richtig. El Salvador ist immer noch ein total gestresstesLand mit viel Leid und Gewalt und Ungerechtigkeit. Romero wird schon lange als Heiliger verehrt, eigentlich seit seiner Ermordung. Aber dass ist jetzt keine entrückte Verehrung für einen toten Märtyrer, der irgendwo im Himmel ist, sondern eher eine Verehrung für einen Weggefährten. Die Salvadorianer kannten Romero ja noch zu Lebzeiten und der lebt gleichsam fort - nicht nur in der Erinnerung, er ist hier allgegenwärtig. Nicht nur sein Bild, auch auch seine Botschaft. Und er dient dem Land und vielen Menschen als moralische Autorität. Ein Heiliger zum Anfassen sozusagen. Das klingt jetzt vielleicht theologisch ein bisschen fies, aber das ist eine Art von Realpräsenz, die Romero hier im Land ausstrahlt.
Mit der Ermordung von Romero damals fiel der Startschuss zum Bürgerkrieg mit über 75 000 Todesopfern, tausenden spurlos Verschwundenen und über diese Zeit ist lange im Land nicht gesprochen worden. Und jetzt mit der Heiligsprechung Romeros hat ein Diskussionsprozess eingesetzt. Es gibt noch keinen wirklichen Versöhnungsprozess, es gibt noch viele offene Wunden von damals. Die Straftäter sind fast alle unbehelligt geblieben, es gibt keine Wiedergutmachung für die Opfer und für die Menschen besonders schmerzlich: Die meisten wissen immer noch nicht, wo ihre Angehörigen sind. Jetzt mit der Heiligsprechung Romeros wird verstärkt über die Zeit des Bürgerkrieges nachgedacht. Und bei vielen tut sich die Hoffnung auf, dass die Heiligsprechung vielleicht auch einen Impuls für den nationalen Versöhnungsprozess geben könnte.
Auf der anderen Seite ist die Hälfte der Salvadorianer heute jünger als 30 Jahre - ohne persönliche Kenntnis von Romero, ohne Bezug zum Bürgerkrieg. Und für diese Generation ist Osvar Romero nicht der tote Märtyrer, sondern ein Beispiel, ein Idol fürs Christ sein. Die jungen Menschen kümmert eigentlich nicht, was Romero damals zu den politischen Verhältnissen gesagt hat oder in welcher Beziehung er zur Befreiungstheologie stand. Die schauen auf die christlichen Werte, die Romero mit seiner Person verkörpert hat. Dessen Unerschrockenheit gegenüber den Machthabern, seine Bereitschaft, sich ohne Wenn und Aber auf den Weg der Nachfolge zu begeben, sein hörendes Herz für die Nöte der Armen. Das begeistert die Jungen an Romero, und ich glaube, mit der Heiligsprechung nimmt diese Begeisterung nochmal zu.
DOMRADIO.DE: Sie selbst sind ja nicht nur Botschafter der Bundesrepublik, sondern auch Ständiger Diakon. Was bedeutet diese Heiligsprechung Romeros für Sie persönlich?
Finke: Ich muss gestehen, bevor ich hier nach El Salvador versetzt worden bin, hatte ich wenig Bezug zu Romero. Ich kannte zwar den Namen und wusste, dass er ermordet worden ist, aber das war schon fast alles. Und dann hab ich im Zuge der Vorbereitungen auf meinen Posten die erste Biografie von Romero gelesen, und mit der Ankunft in El Salvador wurde er eigentlich zum ständigen Begleiter. Nicht nur, weil man auf dem Flughafen landet, der seinen Namen trägt, sondern Romero ist hier überall. Man kann ihm im Prinzip gar nicht aus dem Weg gehen.
Was mein Diakon sein angeht: Diakon sein heißt ja Diener sein, Dienst an der Kirche an den Armen, ihnen Gestalt und Stimme geben. Und man weiß, dass man hinter diesem Anspruch immer zurück bleibt. Aber Romero hat ihn ganz mit Leben erfüllt. Er ist - wie man oft sagt - in Gott eingetaucht und bei den Armen wieder aufgetaucht, ohne Kompromisse und ohne Wenn und Aber. Und das wünsche ich mir für mein Diakon sein auch. In der Perspektive ist mir Romero in diesen zwei Jahren, in denen ich hier bin, ans Herz gewachsen.
Das Gespräch führte Hilde Regeniter.