Vereiste Wasserfälle, Schnee auf weitem Land und in Blautönen schimmernde Eisblöcke an der Küste des Nordatlantik - im Winter ist die Kälte auf Island allgegenwärtig. Über das Eismeer sollen in diesem Winter syrische Flüchtlinge in das Land am nördlichen Polarkreis kommen. Und es scheint, als wollten die Isländer das Eis für die Neuankömmlinge bereits zum Schmelzen bringen und heißen die rund 50 Flüchtlinge willkommen - bevor sie überhaupt angekommen sind.
Ein motivierender offener Brief
Björn Teitsson ist begeistert. Die Zahl der freiwilligen Helfer im Land ist seit dem Sommer enorm angestiegen, berichtet der Mitarbeiter des Isländischen Roten Kreuzes. "Ende August hatten wir auf der Insel noch um die 2.900 aktive Freiwillige. Jetzt sind es ungefähr 4.500." Das liege besonders an der Facebook-Aktion der Autorin Bryndis Bjorgvinsdottir. In einem offenen Brief hatte sie angeboten, Flüchtlinge bei sich aufzunehmen.
Die Aktion sollte ein Protest sein gegen die geringe Zahl an Flüchtlingen, die ihr Heimatland aufnehmen wolle, heißt es auf der Seite in dem Sozialen Netzwerk. Und die wurde schnell zum Selbstläufer - die Gruppe der Unterstützer wuchs schließlich auf über 10.000 Isländer an. Einige waren sogar bereit, Flüchtlinge bei sich zu Hause aufzunehmen.
Einer der Unterstützer ist Runar Gunnarsson. Der junge Mann lebt in der nordisländischen Stadt Akureyri. Die selbst ernannte "Hauptstadt des Nordens" ist eine der Gemeinden, die sich um die Aufnahme von syrischen Flüchtlingen beworben hatten. Noch in diesem Jahr sollen sie nun kommen. Seitdem sind die Flüchtlinge auch auf den Straßen von Akureyri ein Thema, berichtet Gunnarsson. Und ergänzt: "Die Hilfsbereitschaft ist enorm."
Viele neugierige Fragen
Wie viele seiner Mitbürger der 18.000-Einwohner-Stadt ist Gunnarsson vor allem eines: neugierig. Denn genaue Informationen habe es von der Stadt noch nicht gegeben. "Sind das jetzt Dorfbewohner aus Kurdistan? Oder sind das vielleicht Jesiden? Das weiß im Moment noch keiner so genau", fragt man sich auch in seinem Kollegium. Daher sei es bisher auch schwer, konkret zu handeln. Eine Stadt im Wartezustand.
Denn bei aller Vorfreude auf die Neuankömmlinge: Deren Interesse, in dem Land im Nordmeer, nur rund 200 Kilometer von Grönland entfernt, eine neue Heimat zu finden, hält sich in Grenzen. Denn die Insel ist auch eine Herausforderung: Die Wege sind lang und die Tage im Winter sehr kurz und dunkel. Wie die Syrer damit umgehen, weiß auch Teitsson nicht. Das müsse sich zeigen. Die Freiwilligen kümmern sich währenddessen um die dringend nötige warme Kleidung.
Umso überraschender ist die anhaltende Hilfsbereitschaft der Isländer. Doch bisher sind sie Flüchtlingshelfer ohne Flüchtlinge - und machen Trockenübungen, bis es losgeht. Danach wollen sie die Flüchtlinge willkommenheißen und helfen anzukommen.
Bonifatiuswerk lobt Integrationsstärke
Eine isländische Gemeinschaft, die sich mit Integration auskennt, ist die katholische Kirche. Davon erzählt Monsignore Georg Austen. Der Generalsekretär des Bonifatiuswerks der Deutschen Katholiken hat im Sommer Island bereist. "Die Kirche dort ist ein wichtiger Träger für Integration." Als "Migrantenkirche" vereint sie fast 100 Nationen, auch wenn sie insgesamt nur rund 3 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht. Doch so viel Multi-Kulti berge auch Herausforderungen, betont Austen. "Die weiten Wege und das oft babylonische Sprachwirrwarr schlagen sich auf die pastorale Seelsorge nieder - und auf die langfristige Integration der Menschen."
Doch Herausforderungen hin oder her - nach Austens Erfahrungen haben die Isländer eine beeindruckende Eigenschaft: "Sie sehen das Fremde vor allem als Bereicherung." Eine große Chance für Integration, so der Monsignore. Auch Runar Gunnarsson will dazu beitragen. "Wenn die Flüchtlinge da sind, will ich helfen und geben, was ich kann." In der Vergangenheit ist Integration bereits gelungen, in seiner Heimatstadt. Im Jahr 2003 kamen 23 Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien in die Stadt - und alle sind geblieben. Darauf hoffen auch Björn Teitsson und die vielen freiwilligen Helfer - während sie warten, aufs Willkommenheißen.