Hilfskoordinator der Erzdiözese Mariana zur Situation der Opfer

"Eine Katastrophe biblischen Ausmaßes"

Vor rund einem Jahr richtete eine Schlammlawine in der brasilianischen Erzdiözese Mariana schwere Verwüstungen an. Padre Geraldo Martins Dias, der für die Erzdiözese die Opferhilfe koordiniert, zieht eine Bilanz der Reparaturmaßnahmen.

Autor/in:
Thomas Milz
Schlammkatastrophe im Rio Doce / © EPA/Antonio Lacerda (dpa)
Schlammkatastrophe im Rio Doce / © EPA/Antonio Lacerda ( dpa )

KNA: Am 5. November 2015 brach der Damm eines Abraumbeckens. Über hundert Kilometer Verwüstungen waren die Folge. Wie sieht die Situation zum Jahrestag der Katastrophe aus?

Padre Geraldo Martins Dias: Die von uns geforderten kurzfristigen Maßnahmen hat das Unternehmen Samarco erfüllt: Die Bewohner der am schlimmsten betroffenen Dörfer Bento Rodrigues und Paracatu de Baixo sind provisorisch untergebracht. Und sie erhalten Übergangsgelder. Sorgen macht uns der Zeitplan für den Wiederaufbau der Dörfer. Das darf nicht zu lange dauern und wir brauchen da noch einen Konsens. Auch bei der Registrierung der Opfer und der Ermittlung der Schadenssummen sind wir noch nicht weit. Die Opferfamilien sind von den ewigen Diskussionen erschöpft. Sie wissen nicht, wie ihre Zukunft aussieht.

KNA: Die Region Mariana lebt vom Bergbau. Droht jetzt eine tiefe Strukturkrise?

Geraldo: Mariana lebt zu 80 Prozent vom Bergbau. Ein Stillstand hat riesige Auswirkungen. Die Kirche ist nicht gegen den Bergbau. Aber man muss die Methoden hinterfragen. Brasiliens Bischofskonferenz beobachtet aktiv die Beratungen des neuen Bergbaugesetzes im Kongress. Der Mensch und die Umwelt müssen im Zentrum stehen, nicht die Gewinne. Und die Behörden müssen die Branche stärker kontrollieren.

KNA: Viele Opfer fühlen sich von der Bevölkerung verunglimpft. Sie würden von dem Unglück profitieren.

Geraldo: Entschädigungen sind keine Geschenke, sondern eine Frage der Gerechtigkeit. Leider gibt es vereinzelte Fälle von Diskriminierung und Verunglimpfung. Wir fürchten, dass da Opfer in Täter verwandelt werden sollen. Und die für dieses Umweltverbrechen Verantwortlichen werden als Opfer dargestellt.

KNA: Wie engagiert sich die Kirche?

Geraldo: Die Kirche in Mariana arbeitet eng mit der Organisation für die Opfer von Staudämmen MAB zusammen. Sie informiert die Betroffenen über ihre Rechte und begleitet sie.

KNA: Das Erzbistum Mariana hat Spendengelder für die Opfer gesammelt. Wie werden die eingesetzt?

Geraldo: Konkret unterstützen wir die Zeitschrift Sirene, die die Stimme der Opfer ist. Sirene wird von den Betroffenen und für die Betroffenen gemacht. Denn nicht immer hat die Lokalpresse adäquat berichtet. Hilfsgelder haben wir nicht ausgezahlt. Denn die Entschädigungen müssen von den verantwortlichen Unternehmen kommen.

KNA: Hat auch die Kirche in Deutschland Hilfen für die Opfer bereitgestellt?

Geraldo: Die Erzdiözese Mariana hat das bischöfliche Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat um die Finanzierung der Arbeit des MAB gebeten. Und Adveniat hat diesen Part übernommen. Die Arbeit der Leute zu finanzieren, die die Betroffenen betreuen, bedeutet ja, den Betroffenen direkt zu helfen.

KNA: Wird es Ihrer Meinung nach möglich sein, die Umweltschäden wieder zu beheben?

Geraldo: Die Verwüstungen und Schäden dieses Umweltverbrechens sind nicht zu kalkulieren. Und genauso ist es unmöglich zu sagen, wie lange das Gebiet des Rio Doce braucht, um sich zu erholen. Vielleicht wird es Jahrzehnte dauern. Selbst die optimistischsten Experten glauben, dass eine hundertprozentige Wiederherstellung unmöglich ist. Teile der Fauna und Flora werden wohl unwiederbringlich verloren sein. Aber das wir die Zeit zeigen.

KNA: Medien haben nach dem Dammbruch von einer Katastrophe biblischen Ausmaßes gesprochen. Was halten Sie von diesem Vergleich?

Padre Geraldo: Die dachten sicherlich an die biblische Geschichte der Sintflut. Das passt, denn wir können ja nicht wirklich begreifen, was eine über 600 Kilometer sich hinziehende Verwüstung bedeutet.

Das Interview führte Thomas Milz.


Quelle:
KNA