domradio.de: Immer häufiger werden humanitäre Helfer zur Zielscheibe von Gewalt. Woran liegt das?
Karl-Otto Zentel (Generalsekretär Care Deutschland): Das ist richtig, die Gewalt nimmt zu. Die Sicherheitslage wird immer schwieriger. Die Ursachen dafür sind unterschiedlich. Zum Einen ist die Gewalt oftmals rein kriminell. Wenn man einen Helfer, einen internationalen Mitarbeiter in seine Gewalt bringt, kann man versuchen, eine Lösegeldsumme zu erpressen. Es hat aber auch damit zu tun, dass bei den Militäreinsätzen die Trennlinie zwischen Helfern und Militär verwischt. Und es hat damit zu tun, dass die handelnden Parteien immer weniger die Menschenrechte und die internationalen Konventionen achten. Wir haben ja gerade auch in den letzten Jahren gesehen, dass gezielte Angriffe auf Krankenhäuser, Lagerhäuser und ähnliches immens zugenommen haben.
domradio.de: Viele große Hilfsorganisationen sind politisch und weltanschaulich neutral. Sie helfen also grundsätzlich Verletzten und Kranken aller Konfliktparteien. Früher war man allein dadurch geschützt. Ist das jetzt nicht mehr so?
Zentel: Das ist leider nicht mehr so - aus den Gründen die ich genannt habe. Früher hatte man als Helfer einen gewissen Schutz, darauf konnte man bauen. Das hat sich verändert. Früher konnte es auch passieren, dass man zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort war. Heute sind es aber zunehmend gezielte Attacken.
domradio.de: Wollen kriminelle Banden und Extremisten mit zivilen Opfern Regionen destabilisieren oder auch weltweite Aufmerksamkeit erzielen?
Zentel: Beides kann richtig sein. Wenn die internationalen Helfer sich aus Sicherheitsgründen zurückziehen müssen, dann verliert die Bevölkerung natürlich Schutz. Schutz dadurch, dass Menschen da sind, die Zeugen sein können, die berichten können. Das spielt natürlich für Extremisten und Kriminelle eine große Rolle.
domradio.de: Wie ist das bei Care Deutschland: Gibt es Fälle, in denen Sie Helfer abziehen, weil es einfach zu gefährlich wird?
Zentel: Wir überlegen uns sehr genau, wann wir uns wohin begeben. Wir haben dann auch Sicherheitsfachleute in den Projekten vor Ort und da, wo es nötig ist, haben wir gewisse Vorkehrungen. Vorher wird eine Prüfung durchgeführt, ob wir uns überhaupt in die Region bewegen können, und wir müssen uns auch teilweise aus Regionen - zumindest vorübergehend - zurückziehen.
domradio.de: Wie stellen Sie sich generell auf die verschärfte Sicherheitslage ein?
Zentel: Die Mitarbeiter werden mehr darauf trainiert, damit umzugehen und sensibler zu sein. Wir haben Sicherheitsfachleute, die die Lage einschätzen können. Es gibt in Ländern wie zum Beispiel dem Irak oder Afghanistan auch internationale Sicherheitsnetzwerke der Hilfsorganisationen, in denen wir uns untereinander austauschen und so versuchen, bestmöglich die Situation einschätzen zu können. Und natürlich ganz wichtig: Mehr als 90 Prozent unserer Kollegen bei Care sind lokale Mitarbeiter. Das sind natürlich für uns sehr wichtige Informationsquellen, die ein gutes Gefühl dafür haben, wann sich die Lage zuspitzt.
domradio.de: Was passiert denn mit den einheimischen Mitarbeitern, die Sie gerade angesprochen haben, die man ja auch nicht so einfach abziehen kann?
Zentel: Man kann sie nicht so einfach außer Landes bringen, das ist richtig. Aber sie können sehr wohl den Standort wechseln. Es gibt verschiedene Phasen. Man kann zunächst die Projektaktivitäten und Reisen einstellen und erst einmal im Büro abwarten, bis sich die Lage beruhigt. Man kann aber auch den Bürostandort verlassen und sich an einen anderen Standort zurückziehen. Der letzte Schritt wäre es dann, das Land zu verlassen.
domradio.de: Was bedeuten die erschwerten Bedingungen insgesamt für die humanitäre Hilfe in den Krisengebieten der Welt?
Zentel: Die humanitäre Hilfe wird zunehmend schwieriger. Es wird zunehmend schwieriger, Menschen zu erreichen. Neutralität und Unparteilichkeit schützen die Helfer leider nicht mehr. Die Leidtragenden sind die Menschen, die am meisten die Hilfe benötigen und die wir immer schwerer erreichen.
Das Interview führte Carsten Döpp.