Angesichts der politischen und humanitären Krise fliehen immer mehr Menschen aus ihrer Heimat Venezuela in die Nachbarländer. Doch dort würden sie inzwischen mit offener Gewalt konfrontiert, wie die SOS Kinderdörfer weltweit am Sonntag in München berichten. Die brutalen Jagdszenen in Pacaraima in der vergangenen Woche sähe man mit großer Sorge, erklärte Pressesprecher Louay Yassin. In dem brasilianischen Grenzort hätten Einheimische Flüchtlinge, darunter Familien und Kinder, mit Steinen, Knüppeln und Schusswaffen angegriffen.
2,3 Millionen Menschen verlassen Venezuela
Vor allem die Grenzregionen seien mit dem starken Ansturm der Flüchtlinge überfordert, heißt es. Besonders betroffen sei Kolumbien, wo mehr als eine Million Venezolaner lebten. Aber mittlerweile seien auch Hunderttausende in Peru, Ecuador, Chile, Argentinien und Panama gestrandet. "Doch die Ablehnung durch die Einheimischen wächst. Wurden die Notleidenden anfangs noch freundlich empfangen, schlägt ihnen jetzt Widerstand entgegen", sagte Yassin.
Vor allem für die Kinder seien die Erlebnisse zutiefst traumatisch. Sie hätten schon in Venezuela unter Hunger und Unterernährung gelitten, nun komme die Flucht noch hinzu. Alle Nachbarstaaten sowie die internationale Gemeinschaft seien in der Verantwortung, schnelle und unbürokratische Lösungen zu finden, forderte Yassin.
SOS-Kinderdorf erweitert Hilfsprogramme
Die SOS-Kinderdörfer haben eigenen Angaben zufolge bereits mit Partnerorganisationen ihre Hilfe für die Flüchtlinge aus Venezuela ausgeweitet. So haben in Brasilien 170 Kinder und Erwachsene an verschiedenen SOS-Standorten im Land eine sichere Unterkunft bekommen. Die Kinder besuchten lokalen Schulen, ihren Eltern seien Arbeits- und Ausbildungsplätze vermittelt worden.
Peru will Einreise aus humanitären Gründen prüfen
Das peruanische Innenministerium hat nach der Verschärfung der Einreisebestimmungen für Flüchtlinge aus Venezuela Ausnahmen zugelassen. Das kündigte Innenminister Mauro Medina am Wochenende an. Schwangere Frauen, ältere Menschen und Kinder würden ins Land gelassen, hieß es in einer Mitteilung. Am Samstag hatte Peru die Passpflicht für Venezolaner eingeführt, was faktisch einer Schließung der Grenze gleichkam. Reisepässe sind in Venezuela teuer und nur schwer zu bekommen, die meisten Flüchtlinge sind nur mit einem Personalausweis unterwegs.
Am Freitag hatte Ecuador einen humanitären Korridor für venezolanische Flüchtlinge eingerichtet, die weiter nach Peru reisen wollten. In mehr als 30 Bussen wurden Hunderte Menschen an die peruanische Grenze gebracht. Doch nicht alle erreichten die Stadt Tumbes in Peru noch rechtzeitig, bevor die Passpflicht in Kraft trat, wie lokale Medien berichteten.
Passzwang in Ecuador von Gericht gekippt
In Ecuador galten die gleichen Einreisebeschränkungen wie in Peru. Doch ein Gericht kippte die Regelung am Freitag, nach der Venezolaner nur mit einem gültigen Pass einreisen durften. Die ecuadorianische Bürgerbeauftragte war gerichtlich gegen die Einreisebeschränkung vorgegangen. Diese verletze das Recht auf einen Zufluchtsort und die Einheit der Familie, hatte Gina Benavides argumentiert. Innerhalb von 45 Tagen muss das Außenministerium nun einen umfassenden Plan für die Flüchtlingsströme entwickeln. Zuletzt hatten täglich bis zu 5.000 Venezolaner die Grenze von Kolumbien nach Ecuador überquert.
Nach UN-Schätzungen sind bereits 2,3 Millionen Venezolaner wegen der schweren wirtschaftlichen und politischen Krise ins Ausland geflohen. Das entspricht mehr als sieben Prozent der Gesamtbevölkerung. Kolumbien gewährte rund 800.000 Migranten einen befristeten Aufenthalt. Mitte September soll auf Einladung von Ecuador über ein abgestimmtes Handeln in der Flüchtlingskrise beraten werden.