Es war ein Meilenstein und sorgte nach langem Ringen für weltweites Aufatmen: Vor gut einem Jahr, am 25. September, verabschiedeten die UN-Mitgliedsstaaten in New York die nachhaltigen Entwicklungsziele für die kommenden 15 Jahre. Hilfswerke, Kirchen und Nichtregierungsorganisationen lobten den umfassenden und universellen Charakter. Anders als der Vorläufer, die "Milleniumsentwicklungsziele", gilt die Agenda 2030 für alle Staaten, Deutschland inbegriffen. "Jedes Land hat seine Aufgaben", betonte der Programmvorstand von terre des hommes, Albert Recknagel, am Mittwoch in Berlin.
Gemeinsam mit der Welthungerhilfe hat das Kinderhilfswerk eine erste Bilanz gezogen. Der "Kompass 2030" nimmt in diesem Jahr die Umsetzung der Entwicklungsziele in den Blick. Seit 1993 analysieren die beiden Hilfswerke alljährlich die "Wirklichkeit der Entwicklungspolitik", wie sie es nennen. Das neue Format ist weniger ein Wissenschaftsbericht als vielmehr ein Appell an die politisch Verantwortlichen.
"Deutschland grundsätzlich auf gutem Weg"
Für den Vorstandsvorsitzenden der Welthungerhilfe, Till Wahnbaeck, auch Anlass für positive Worte: "Deutschland ist grundsätzlich auf einem guten Weg." An der ein oder anderen Stelle müsse der Kurs jedoch noch korrigiert und das Tempo angezogen werden. Bis Ende des Jahres soll die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen werden. Noch fehle das Aufbruchsignal, so die Analyse.
Die deutsche Geberbilanz ist im Vergleich der Länder im OECD-Entwicklungsausschuss durchaus gut, was die Gesamtsumme anbelangt, aber deutlich schlechter mit Blick auf den Anteil am Bruttonationaleinkommen. Hier liegt Deutschland unter den ersten zehn Staaten nur auf dem neunten Platz, hinter Ländern wie Schweden, Norwegen und Luxemburg oder auch Großbritannien.
Mehr Engagement für die Ärmsten der Armen
Die Haupt-Kurskorrektur fordern beide Hilfswerke beim Engagement für die Ärmsten der Armen. Die Mittel für die deutsche Entwicklungshilfe seien gestiegen, aber nicht für die am wenigsten entwickelten Länder.
"Unter den Top 10 der Empfängerländer deutscher Entwicklungshilfe befanden sich 2014 nur zwei aus der Gruppe der am wenigstens entwickelten Länder, davon keines aus Subsahara-Afrika", beklagte Wahnbaeck. Die Hilfe für die am wenigsten entwickelten Länder müsse mindestens um die Hälfte ausgeweitet werden.
Kritisch sehen die Hilfswerke auch, dass das finanzielle Plus bei der Entwicklungshilfe vorrangig auf das Anrechnen der ODA-Mittel für die Flüchtlingsversorgung in Deutschland zurückzuführen sei. Die deutsche Entwicklungshilfe-Quote stieg im Vorjahr von 0,42 auf 0,52 Prozent des Bruttonationaleinkommens. "Die Gelder müssen sauber getrennt werden", forderte Wahnbaeck.
Um das Kernproblem des Hungers weltweit zu bekämpfen, müsse auch das Tempo verdreifacht werden. Noch immer gebe es weltweit 800 Millionen Hungernde. Wahnbaeck forderte vor diesem Hintergrund eine Aufstockung des Bundeshaushalts für Entwicklungshilfe um rund 500 Millionen Euro im Bereich der Ernährungssicherung.
Investitionen in Aus- und Weiterbildung
Recknagel mahnte einen stärkeren Fokus auf die Aus- und Weiterbildung von Frauen und Kindern an. "Die Entwicklungszusammenarbeit muss zielgerichtet in die Zurückgelassenen investieren", sagte Recknagel. "Kurzfristige Feuerwehreinsätze" in Krisengebieten seien notwendig, aber kein Ersatz für die Bekämpfung von Fluchtursachen wie wirtschaftliche Perspektivlosigkeit.
In Subsahara-Afrika liege das Durchschnittsalter bei etwas über 18 Jahren. Die vielen Jugendlichen bräuchten Bildung, um sich ein eigenes Leben in ihrer Heimat aufzubauen. An dieser Stelle wünschen sich die beiden Hilfswerke auch mehr langfristige Projekte und Hilfen der Bundesregierung.
Die deutsche Entwicklungshilfe sei nicht so effizient wie sie sein könnte, erklärte Wahnbaeck. Das liege vor allem an der Kleinteiligkeit der Projekte. Das Gießkannenprinzip habe sich in der Vergangenheit nicht bewährt und werde es auch in der Zukunft nicht. Vielmehr müssten alle relevanten politischen Bereiche von der Agrarpolitik bis zur Entwicklungszusammenarbeit und Wirtschaftspolitik gemeinsam und dauerhaft an einem Strang ziehen.