Historiker kritisiert Aufarbeitung evangelischer Gemeinden

Kaum Reaktionen auf die Ergebnisse

Relativ wenige Kirchengemeinden befassen sich nach den Worten des Hamburger Kirchenhistorikers Thomas Großbölting bislang mit Ergebnissen der ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie.

Thomas Großbölting / © Lars Berg (KNA)
Thomas Großbölting / © Lars Berg ( KNA )

Es habe von evangelischen Gemeinden kaum Reaktionen auf deren Ergebnisse gegeben, anders als bei katholischen, sagte der Mitautor der Studie bei einer Online-Veranstaltung des Dekanats Fürth am Dienstagabend.

Selbstbild der Kirche stehe Aufarbeitung im Weg

Großbölting führte die geringe Resonanz auf ein "stark etabliertes Selbstbildnis" der Evangelischen zurück, "die bessere Kirche" zu sein. Dabei habe die ForuM-Studie klar spezifische evangelische Faktoren festgestellt, die zu sexualisierter Gewalt führen konnten, erläuterte er: Einer von ihnen sei das Pfarrhaus. In ihm werde oft wenig zwischen privat und beruflich unterschieden.

Hamoniezwang und Verantwortungsdiffusion

Ein weiterer Befund ist nach seinen Angaben ein "Harmonisierungszwang" in der evangelischen Kirche. Konflikte würden nur kurz ausgetragen und zwischen "guten" und "schlechten" Betroffenen unterschieden. Schlechtere Betroffene seien jene, die sich nicht auf "Sprachspiele rund um Schuld und Vergebung" einlassen würden. Außerdem fördere Missbrauch im Protestantismus, dass er sich als partizipative Kirche wahrnehme, in der alles von vielen entschieden werde, sagte der Studien-Co-Autor. Das führe dazu, dass sich niemand verantwortlich fühle.

Veranstaltung schlecht besucht

Die Online-Veranstaltung des Dekanats Fürth besuchten 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Diese geringe Zahl gebe ihm zu denken, sagte der Fürther Dekan Jörg Sichelstiel.

Ende Januar hatte ein Forscher-Team seine ForuM-Studie über sexualisierte Gewalt im Raum der evangelischen Kirche und der Diakonie vorgestellt. Darin ist von mindestens 2.225 Betroffenen und 1.259 mutmaßlichen Tätern die Rede. Die Forscher gehen von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus.

Missbrauchsstudie der Evangelischen Kirche

Die Zahl der Missbrauchsopfer in der evangelischen Kirche und Diakonie ist viel höher als bislang angenommen. Laut einer Studie sind seit 1946 in Deutschland nach einer Hochrechnung 9.355 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht worden. Die Zahl der Beschuldigten liegt bei 3.497. Rund ein Drittel davon seien Pfarrpersonen, also Pfarrer oder Vikare. Bislang ging die evangelische Kirche von rund 900 Missbrauchsopfern aus. Die Forum-Studie wurde von einem unabhängigen Forscherteam erarbeitet und in Hannover veröffentlicht.

Gedruckte Ausgaben der Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche liegen auf einem Tisch / © Sarah Knorr (dpa)
Gedruckte Ausgaben der Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche liegen auf einem Tisch / © Sarah Knorr ( dpa )


 

Quelle:
epd