DOMRADIO.DE: Das britische Unterhaus hat sich mehrheitlich gegen den EU-Austrittsvertrag gestellt, obwohl Premierministerin Theresa May der EU kurz zuvor noch Zugeständnisse beim Thema Backstop, also bei der Grenzregelung mit Irland abgerungen hat. Aber so richtig überraschend war das "Nein" des britischen Unterhauses zum Austrittsabkommen dennoch nicht, oder?
Stephan Arras (Pfarrer der deutschen evangelisch-lutherischen Kirche in Irland): Nein, es war nicht überraschend. Wenn man sich die Zahlen anschaut, wie viele bei dem ersten Mal dagegen gestimmt haben, hat es schon ein wenig gewundert, dass Theresa May das gleich nochmal probiert.
DOMRADIO.DE: Der sogenannte "Backstop" scheint das Zünglein an der Waage zu sein. Der freie Personen- und Warenverkehr in der EU zwischen Nordirland und Irland hatte zur Befriedung des alten Konflikts zwischen den beiden Ländern beigetragen. Das könnte sich aber durch den Austritt der Briten ändern. Was sind Ihre konkreten Befürchtungen?
Arras: Die konkreten Befürchtungen sind, dass die Gewalt auf die irische Insel wieder zurückkommt. Wenn man mit Menschen spricht, die an der Grenze leben, ist längst wieder von Bewaffnung die Rede. Es fallen auch Sätze wie: "Wenn der erste Schlagbaum steht, wird der gesprengt". Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass das dann auch tatsächlich so eintrifft.
DOMRADIO.DE: Sind das auch die Sorgen, die Sie in Ihrer Gemeinde hören?
Arras: Im Moment höre ich eher aus der Gemeinde eine Zermürbung. Das sogenannte "B-Wort" nehmen manche gar nicht mehr in den Mund. Es ist rauszuhören, dass man eher damit leben könnte, dass es jetzt tatsächlich einen Brexit gäbe, als dass das es immer so mit dieser Unsicherheit weitergeht.
DOMRADIO.DE: Der Widerstand gegen Theresa May ist weiterhin ungebrochen. Sie hält weiter an ihrer Idee fest, dass Großbritannien die EU geordnet verlässt. Was würden Sie ihr jetzt raten?
Arras: In der Tat wäre ein geordnetes Verlassen besser, als wenn das mit einem harten Brexit ohne Regelungen passiert. Aber ich habe mittlerweile den Eindruck, dass ein harter Brexit den großen Vorteil hätte, dass dieses "Rumgeeiere" schlagartig ein Ende hätte. Man könnte nach einem harten Brexit sofort an Verhandlungen rangehen, wie man denn jetzt miteinander weitermacht. Möglicherweise würde das mittlerweile den gordischen Knoten durchschlagen.
Sollte das Unterhaus heute gegen einen ungeordneten Brexit stimmen, dann wird es morgen darum gehen, ob man entweder Neuwahlen macht oder ein zweites Referendum oder was auch immer. Aber dann wird es um ein Verschieben gehen. Da habe ich mittlerweile den Eindruck, dass das einfach keine gute Idee ist.
Auch bei einer neuen Abstimmung im Volk wird es zumindest wieder knapp. Hier wird viel davon abhängen, ob junge Leute wählen gehen. Das würde das Hängen und Würgen einfach nur verlängern. Im Moment wäre mein Vorschlag: Wenn ihr keinen Deal wollt, dann lasst uns den harten Brexit machen oder aber den Brexit abblasen. Aber das will Theresa May offensichtlich nicht.
Das Interview führte Tobias Fricke.