"Sie haben jeden umgebracht und gefoltert und die Frauen belästigt", erinnert sich Abu Siddik an die Gewalt. In Rakhine hatte er ein kleines Geschäft. Drei Tage seien sie gelaufen, bis sie endlich den Fluss Naf erreicht hätten, der die Grenze zwischen Myanmar und Bangladesch bildet.
"Meine Frau und ich mussten unsere Kinder den ganzen Weg tragen, weil sie noch zu klein waren", sagte Siddik der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen anlässlich des dritten Jahrestags der Vertreibung der muslimischen Rohingya aus Myanmar. Siddik betont: "Ich bin bereit für eine Rückkehr nach Myanmar, wenn unsere Rechte garantiert sind."
Um die Rechte der Rohingya ist es unter der Regierung von Aung San Suu Kyi schlechter bestellt denn je. Das mehrheitlich buddhistische Myanmar benutze sein Rechtssystem als "Waffe" zur Diskriminierung und Verfolgung der ethnisch-religösen Gruppe, die seit Generationen im Land lebe, klagt Kyaw Win, Direktor der Organisation Burma Human Rights Network.
"Die Rohingya werden regelmäßig und konsequent von der Regierung, dem Militär, den Ultranationalisten und lokalen Medien als 'illegale Bengalen' dämonisiert", sagt der Menschenrechtler und fügt hinzu: "So verweigern sie den Rohingya ihr Recht auf Identität und provozieren Angst vor ihnen als ruchlose Gruppe, die dem Land schaden will."
Rohingya durften nicht zur Wahl antreten
Jüngster Diskriminierungsfall ist die Ablehnung der Kandidatur von sechs Rohingya bei der Parlamentswahl im kommenden November durch die Wahlkommission. Grund: Die Eltern der sechs Politiker seien keine Staatsbürger von Myanmar gewesen.
Die Wahl wird kein Selbstläufer für Aung San Suu Kyi und ihre Partei Nationale Liga für Demokratie (NLD) - nicht wie noch die Abstimmung vor fünf Jahren. Die ethnischen Völker, die 2015 der NLD zum Erdrutschsieg verholfen haben, sind enttäuscht von Staatsrätin und Partei.
"Die Rohingya und die anderen ethnischen Völker hatten erwartet, dass Aung San Suu Kyi Gleichberechtigung bringt", sagte die birmanische Menschenrechtsaktivistin Wai Wai Nu Anfang August in einer virtuellen Anhörung des auswärtigen Ausschusses des US-Repräsentantenhauses. "Stattdessen hat sie sich von ihnen abgewendet und auf die Seite der Armee gestellt", fügte die ehemalige politische Gefangene hinzu. Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag müssen sich Myanmars Regierungschefin und die Armeeführung inzwischen wegen Völkermords verantworten.
Rohingya-Flüchtlinge in schwieriger Situation
Auch in anderen asiatischen Ländern leben seit vielen Jahren tausende Rohingya, die vor früheren Verfolgungen aus Myanmar geflüchtet waren, unter schwierigsten humanitären Bedingungen. In den vergangenen Monaten hatten südostasiatische Länder zudem wiederholt Boote mit Hunderten Rohingya-Flüchtlingen an Bord aus Furcht vor einer Verbreitung des Coronavirus nicht ins Land gelassen. "Die Verletzlichkeit der Situation für Rohingya-Flüchtlinge wurde durch die Pandemie verschärft. Aufgrund ihres fehlenden Rechtsstatus und des Fehlens längerfristiger und nachhaltiger Lösungen ist ihre Zukunft ungewisser denn je", sagt Alan Pereira, Vertreter von Ärzte ohne Grenzen in Bangladesch.
Auch drei Jahre nach der Massenvertreibung leben die Rohingya unter schwierigsten Bedingungen in den hoffnungslos überfüllten Lagern von Cox's Bazar. Bangladesch würde die Flüchtlinge lieber gestern als heute nach Myanmar zurückschicken und verbietet deshalb alle mögliche Maßnahmen - wie zum Beispiel die Einrichtung eines Schulsystems -, die den Lagern den Charakter einer dauerhaften Siedlung geben würden.
Während die Hoffnung der Rohingya auf eine baldige Rückkehr nach Rakhine rapide schwindet, steigt die Angst vor einem Massenausbruch von Covid-19 in den Lagern.
Alan Pereira mahnt: "Zu einer Zeit, in der für viele auf der Welt die Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist, ihre Pläne auf Eis gelegt sind und sich ihre Lebensgrundlagen im Umbruch befinden, ist es wichtig sich daran zu erinnern, dass die Rohingya so seit Generationen leben müssen."