Holland zieht deutsche Pflegefachkräfte an

Job im Altenheim gefällig?

Die Landesgrenze zwischen Holland und Deutschland verläuft zwischen dem münsterländischen Suderwick und dem niederländischen Dinxperlo mitten durch die Dorfstraße.

Autor/in:
Tanja Tricarico
 (DR)

Jeden Tag überqueren rund 100 deutsche Altenpfleger, Krankenschwestern und Pflegehelfer den Grenzposten. Sie arbeiten lieber in Holland, denn dort werden sie besser bezahlt. Einer der Hauptarbeitgeber in der Region für Pflegekräfte ist das Altenheim Careaz Dr. Jenny im niederländischen Dinxperlo. Wie hoch die Löhne sind, will die holländische Heimleitung der Presse nicht sagen. Jedoch soll es deutlich mehr sein als in Deutschland. Die Liste der Bewerber ist lang.

Im Careaz Dr. Jenny werden sowohl deutsche als auch holländische Senioren versorgt. Die Niederländer setzen auf ambulante Pflege und auf die Eigenverantwortung der Bewohner. Solange wie möglich sollen Alte und Kranke in ihren eigenen Wohnungen betreut werden, selbst essen und ihre Freizeit gestalten.

"Die Kosten für Versorgung und Einrichtungen sind dadurch deutlich niedriger", sagt die Gesundheitsexpertin der deutsch-niederländischen Handelskammer in Den Haag, Kai Esther Feldmann. Das eingesparte Geld fließt ins Pflegepersonal: Die Löhne sind höher als in Deutschland, es wird mehr Personal eingestellt, und es wird mehr Wert auf Weiterbildung gelegt.

Effektiv dank weniger Hierarchie
Deutsche Politiker schielen seit langem auf das niederländische Gesundheitssystem. Beim kleinen westlichen Nachbarn werden die Bürger seit einer Reform im Jahr 2006 für Zusatzleistungen stärker zur Kasse gebeten. "Es wird deutlich weniger als im deutschen System abgedeckt", sagt Feldmann.

Experten loben die pflegerischen Leistungen als effektiv. Das Pflegepersonal werde mehr geschätzt. Das zeigt sich nicht nur in der Bezahlung. In Holland gebe es auch nicht das ausgeprägte hierarchische Gefälle zwischen Arzt und Pflegekraft, wie es für Deutschland kennzeichnend sei, sagt Feldmann. Außerdem verzichten die Holländer auf billiges Personal mit geringer Qualifikation.

In allen EU-Staaten ist der Mangel an Fachpersonal eklatant. 2020 könnten bis zu zwei Millionen Arbeitskräfte im europäischen Gesundheitssystem fehlen, prophezeit Katja Neubauer, Expertin für Gesundheitssysteme in der Europäischen Kommission. Allein beim Pflegepersonal geht Neubauer von 600.000 fehlenden Fachkräften in zehn Jahren aus. Rund 15 Prozent der notwendigen Leistungen könnten nicht mehr erbracht werden. Grund für den erhöhten Bedarf ist die steigende Lebenserwartung. Die Krise um die Fachkräfte trifft ganz Europa.

"Deutschland ist kein Einwanderungsland für Pflegekräfte"
Der Bedarf ist längst nicht gedeckt und die wenigen qualifizierten Pflegekräfte wandern aus den ärmeren EU-Staaten ab. "In Bulgarien, Rumänien, Spanien oder Portugal kann man die Menschen nicht halten, wenn sie wissen, dass sie in anderen Ländern bessere Jobchancen haben", sagt Neubauer.

"Während Holland versucht, die Fachkräfte mit guten Gehältern zu locken, hat Deutschland diese Chance verpasst", kritisiert Michael Isfort vom Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung in Köln. "Deutschland ist kein Einwanderungsland für Pflegekräfte." Skandale und schlechte Arbeitsbedingungen hätten zudem den Pflegeberuf in Verruf gebracht.

"Die Politik hat ignoriert, dass der Bedarf steigt", sagt Isfort. Ausbildung nach Kassenlage und nicht nach Bedarfslage sei schuld am Personalmangel. Vor allem die grenznahen Länder wie die Niederlande profitierten von der Misere in Deutschland und griffen die besten Leute ab.

Doch auch Holland wird nicht vom Fachkräftemangel verschont bleiben, befürchtet die niederländische Gesundheitsexpertin Feldmann. Das System stehe auch hier unter Druck. Doch sie wisse nicht, wo die Holländer noch sparen könnten.