Hospiz-Stiftung kritisiert BGH-Grundsatzurteil zur Sterbehilfe

"Wild-West"-Praxis am Sterbebett

Der Bundesgerichtshof hat die passive Sterbehilfe erleichtert. Ein Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung auf der Grundlage des Patientenwillens sei nicht strafbar, entschied der BGH am Freitag in Karlsruhe. Im domradio.de-Interview kritisiert Eugen Brysch von der Deutschen Hospitz Stiftung das Urteil und warnt vor einer "Wild-West"-Praxis am Sterbebett.

 (DR)

domradio: Ist das ein richtiges Urteil in Ihren Augen?
Brysch: Nein, wir sollten genau hinschauen, auch wenn der Anwalt heute freigesprochen worden ist. Nicht alles was straflos bleibt, ist auch geboten. Ich glaube, Wild-West darf am Sterbebett und erst recht bei Schwerstkranken keine Rolle spielen.

domradio: Was genau stört Sie an dem Freispruch?
Brysch: Der BGH hat außer Acht gelassen, dass beim Nichtvorliegen einer Patientenverfügung, und darum ging es ja hier, es lag keine Verfügung vor, lebenserhaltende Maßnahmen nur dann eingestellt werden dürfen, wenn dies zweifelsfrei der Patientenwille ist. Hier aber war eigentlich nur ein Vier-Augen-Gespräch Bestandteil, das en passant zwischen der Tochter und der Mutter geführt worden war. Das darf nicht ausreichen!

domradio: Warum denn nicht, die Mutter hatte doch klar gesagt, dass sie lebenserhaltende Maßnahmen nicht möchte?
Brysch: Das können Sie an der Praxis sehen: Warum wurde denn dann diese Frau über drei Jahre durch eine Sonde ernährt, wenn es gegen ihren Willen war? Dann war schon das Legen der Sonde ebenfalls nicht rechtsfähig. Und warum dann nach dreieinhalb Jahren das Ziehen der Sonde? Die Frau konnte sich doch in der Zwischenzeit gar nicht äußern. Es kann doch nicht sein, dass beide Taten vom Gesetz her gedeckt sind!

domradio: Den Schlauch zu durchschneiden ist aktives Handeln, aber ist das auch schon aktive Sterbehilfe?
Brysch: Niemand stirbt dadurch, dass ein Schlauch durchgeschnitten wird, das war allen bekannt, auch dem Anwalt. Wenn sie kurzfristig die Ernährung einstellen, tritt ja nicht nach einer Stunde der Tod ein. Am Ende hat der Anwalt, der sich jetzt als Sieger sieht, nur Verlierer übrig gelassen. Die Mutter wurde ohne ihre Tochter in ein Krankenhaus verlegt und bekam eine neue Magensonde, und die Tochter durfte ihre Mutter nicht mehr sehen. Der Sohn hat sich wenige Monate danach das Leben genommen. Also, das ist Wüste und nicht das, was wir uns unter einer guten., umfassenden Sterbebegleitung vorstellen, Palliative Therapie kann so etwas real werden lassen.

domradio: Was muss in der Zukunft gesetzlich geregelt werden, um solche tragischen Fälle zu verhindern?
Brysch: Der Gesetzgeber ist gefordert, Regelungen zu treffen, die den Patientenwillen von Schwerstkranken nicht zum Spielball fremder Interessen und Mutmaßungen anderer werden lässt. Hier muss das Patientenverfügungsgesetz eindeutige Regeln vorschreiben, dass mehrere Angehörige zu befragen sind, grundsätzlich die Dinge vom Krankheitszustand abhängen und dass darüber auch eine klare Dokumentation erfolgt. Das ist in diesem Fall alles nicht der Fall gewesen.

domradio: Was kann man denn tun, um einer solchen Situation zu entgehen?
Brysch: In Sachen schriftlicher Patientenverfügung hat der Gesetzgeber ja klarere Richtlinien erlassen: Sie muss hinreichend konkret formuliert sein, auf die Krankheitszustände und die medizinischen Maßnahmen abgestimmt sein. Macht man das richtig und klar, bringt man seine Angehörigen im Fall der Fälle nicht in ein solches Dilemma. Viele Menschen sagen ja auch, ich will nicht in ein Pflegeheim und kommen später dann doch in eines, wie sollen wir solche mündlichen Aussagen denn vollstrecken?

Das Gespräch führte Mathias Peter.