KNA: Professor Hardinghaus, Ethikexperten wie der frühere Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Peter Dabrock oder die Palliativmedizinerin Claudia Bausewein wenden sich gegen eine gesetzliche Regelung der Suizidbeihilfe. Sie halten das aber für notwendig. Warum?
Winfried Hardinghaus (Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und Palliativ-Verbands): Ich befürchte eine große Rechtsunsicherheit. Die Gesellschaft muss aufpassen, dass die Beihilfe zum Suizid nicht als normale Option am Lebensende angesehen und sogar der Weg zur aktiven Sterbehilfe gebahnt wird.
Todkranke und sehr betagte Menschen könnten sich das Leben nehmen wollen, um nicht mehr zur Last zu fallen.
Oder sie könnten auch von ihren Angehörigen unter Druck gesetzt werden. Natürlich hat jeder das Recht, sich das Leben zu nehmen. Aber ich finde, wir sollten zumindest versuchen, durch Beratung und zeitliche Fristen Hilfe anzubieten und Bremsen einzubauen.
KNA: Wäre Ihnen eine restriktive Regelung lieber?
Hardinghaus: Wir haben uns für das Verbot der auf Wiederholung angelegten Suizidbeihilfe ausgesprochen, aber das hat das Bundesverfassungsgericht ja kassiert. Auf jeden Fall sollte der Gesetzgeber aber verhindern, dass sich kommerzielle Angebote der Suizidbeihilfe etablieren können.
Auch sollten Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren keine Suizidbeihilfe erhalten dürfen. Und wir plädieren für ein Werbeverbot für Suizidbeihilfe.
KNA: Die Kritiker der drei Gesetzentwürfe argumentieren ja gerade damit, dass der Staat ungewollt durch gesetzliche Regelungen einen Weg zur Normalisierung der Suizidbeihilfe bahnt.
Hardinghaus: Da ist was dran. Aber ich finde, dass eine völlig unregulierte Situation eine viel größere Gefahr darstellt. Eine solche Situation haben wir ja derzeit nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020. Und schon jetzt hat beispielsweise die Zahl der Doppelsuizide von Ehepartnern zugenommen.
Man kann nicht alles verhindern. Aber durch ein Beratungsangebot und den Hinweis auf mögliche Hilfen signalisieren Staat und Gesellschaft zumindest, dass ihnen das Schicksal der Suizidwilligen nicht gleichgültig ist und dass Suizid kein normaler Weg sein sollte.
KNA: Aber was kann Beratung überhaupt leisten?
Hardinghaus: Als Palliativmediziner weiß ich, wie sehr Sterbewünsche schwanken und auch von der Angst vor langem Leiden beeinflusst sind. Ich habe immer wieder erlebt, dass Sterbenskranke, denen man solche Ängste nehmen und eine gute Behandlung anbieten kann, ihren Sterbewunsch aufgeben und noch eine erfüllte Lebenszeit haben.
KNA: Die Kritiker einer gesetzlichen Regelung argumentieren auch mit den Kosten: Das Geld, das man für den Aufbau einer Beratungsstruktur brauche, wäre besser in Suizidvorbeugung und eine Stärkung von Hospizen und Palliativmedizin investiert...
Hardinghaus: Wir brauchen beides. Richtig ist aber, dass Suizidprävention deutlich wichtiger ist als der Aufbau eines solchen Beratungssystems. Es geht beispielsweise um den Ausbau von Hilfsangeboten wie der Telefonseelsorge oder der Nummer gegen Kummer für Jugendliche, eine bessere Gesprächsausbildung für Ärzte, Maßnahmen gegen Einsamkeit oder bauliche Maßnahmen wie das Sichern von Hochhäusern und Brücken.
Und natürlich brauchen wir eine Stärkung der Hospizarbeit und Palliativversorgung für sterbenskranke Menschen. Gerade in Alten- und Pflegeheimen, wo ein großer Teil der Menschen in Deutschland stirbt, gibt es große Lücken bei der Hospiz- und Palliativbegleitung. Eine bessere Palliativpflege könnte viele Suizidwünsche verhindern.
KNA: Gerade kirchliche Träger legen Wert darauf, dass in ihren Einrichtungen keine Suizidbeihilfe stattfindet. Wie sehen Sie das als Vertreter von Hospizen und Palliativstationen?
Hardinghaus: Schon das Bundesverfassungsgericht hat betont, dass niemand zur Beihilfe zum Suizid verpflichtet werden darf. Wir als Verband empfehlen auch unseren Einrichtungen, keine Suizidbeihilfe in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Hospize und Palliativstationen sollen Schutzräume bleiben.