Pfarrer Jürgens ruft in neuem Buch zu Engagement für die Kirche auf

"Ich bin ein katholischer Sturkopf"

Die katholische Kirche befindet sich in einer Krise. Pfarrer und Autor Stefan Jürgens hat zu diesem Thema sein neues Buch "Dranbleiben" veröffentlicht und erzählt im Interview, warum er der Kirche trotz einiger Enttäuschungen treu bleibt.

Eine Frau liest im Gesangsbuch im Gottesdienst / © Simon Koy (KNA)
Eine Frau liest im Gesangsbuch im Gottesdienst / © Simon Koy ( KNA )

DOMRADIO.DE: Was enttäuscht Sie besonders an der aktuellen Entwicklung der Kirche?

Stefan Jürgens (Pfarrer und Buchautor): Ich habe den Eindruck, dass die Kirche mit ihren Reformen stecken geblieben ist. Es geht nicht weiter. Wir brauchen transparente Strukturen, Synodalität. Wir müssen uns an demokratischen Gepflogenheiten orientieren, damit Menschen überhaupt wieder Vertrauen zur Kirche finden.

Das sollte eigentlich der Synodale Weg tun. Ich habe aber den Eindruck, dass das Weltkirche-Totschlagargument so wichtig genommen wird, dass das kaum etwas bringen wird. Deswegen habe ich mir überlegt: Wie kann man trotzdem seine reine Freude am Glauben und seine Lust auch an der Gemeinschaft der Kirche nicht verlieren? Wie kann das gehen?

DOMRADIO.DE: Warum bleiben Sie der Kirche treu?

Jürgens: Für mich ist erst einmal Kirche meine Heimat. Ich verdanke ihr meinen Glauben. Deswegen werde ich sie auf keinen Fall aufgeben. Ich habe aber in dem Buch auch einige Haltungen beschrieben, die man heute braucht. Zum Beispiel, dass man im Gebet bleibt, unabhängig von Kirchenkrisen. Dass man sich den Glauben davon nicht kaputt machen lässt, dass man Gelassenheit und Humor behält, dass man über manche Entwicklungen vielleicht auch ein bisschen schmunzelt.

Ich glaube, dass wir die Kirche nicht so wichtig nehmen dürfen, dass uns der Glaube madig gemacht wird. Kirche entwickelt sich gar nicht oder langsam. Ich glaube sogar, dass das Christentum in 50 Jahren in Europa nicht mehr gesellschaftsrelevant sein wird oder jedenfalls weniger als heute. Das wird alles weniger werden.

Aber die, die da sind, können sich durchaus an Jesus Christus orientieren und müssen dafür sozusagen spirituell und theologisch einige Veränderungen nicht nur in Kauf nehmen, sondern auch fördern.

DOMRADIO.DE: Sie haben auch vor zwei Jahren schon ein Buch geschrieben. Da ging es auch schon um die Kirche und was da alles passiert. Waren Sie denn mal an einem Punkt, alles hinzuwerfen?

Jürgens: Niemals. Ich bin ein katholischer Sturkopf und würde weder meinen Glauben noch die Kirche aufgeben. Ich habe auch als Priester den schönsten Beruf der Welt. Ich habe in dem Buch, das vor zwei Jahren erschienen ist, den Fokus eher auf die Kirchenstrukturen gelegt. Was muss sich da ändern?

Da ich gemerkt habe, dass sich in diesen zwei Jahren im Grunde genommen nichts ändert hat. Jetzt habe ich den Fokus darauf gelegt, wie ich selber sein muss und was meine Haltungen sind, damit ich dem Glauben treu bleibe und damit ich sozusagen nicht an der Kirche verzweifle. Aber ich persönlich bin so ein Typ, ich würde wahrscheinlich auch dann noch katholisch bleiben, wenn der Papst vom Glauben abfällt.

DOMRADIO.DE: Aber wenn Sie das Gefühl haben, dass sich die Kirchenstrukturen nicht ändern, inwieweit sind Sie dann bereit, sich anzupassen?

Jürgens: Ich versuche, meinen Dienst als Pfarrer gut zu machen und ich hoffe, dass es in den Gemeinden, die der Bischof mir anvertraut hat, einigermaßen gut läuft und ich versuche vor allen Dingen, ein spiritueller Mensch zu sein. Ich habe ja nicht die großen Kirchenstrukturen in der Hand. Auch wenn ich mich beispielsweise in einigen Gremien des Bistums engagiere, kann ich ja selber nicht so viel Einfluss darauf nehmen.

Aber ich kann versuchen, dass es vor Ort gut läuft. Und ich habe den Eindruck, dass vor Ort auch durchaus eine höhere Zufriedenheit mit Kirche da ist als im goßen Ganzen, wo man den Eindruck bekommt, dass kein Reformwille da ist, außer bei sehr vielen Christen an der Basis und bei einigen wenigen Bischöfen.

DOMRADIO.DE: Wie kann es gelingen, dass man trotz Frust, trotz Enttäuschungen der Kirche treu bleibt und versucht, eine neue Kirchenzukunft zu gestalten?

Jürgens: Da muss man vor allen Dingen versuchen, mal Glauben und Kirche zu trennen. Gott hat ja eine Mission für die Menschen. Nicht nur die Kirche hat eine Mission. Und zu dieser Mission Gottes gehört vielleicht auch die Kirche, aber vieles andere auch noch. Ich glaube, dass man erstens mal im Gebet bleiben muss und zweitens die Welt sehen muss, wie sie ist. Es müssen auch Engagierte da bleiben, die sich für andere einsetzen, für Gerechtigkeit und Frieden.

Das alles könnte der Relevanz des Glaubens dienlich sein. Es geht dem Glauben ja nicht nur um sich selbst und es geht der Kirche auch nicht um sich selbst, sondern es geht um eine Weltgestaltung aus dem Glauben. Und wenn man da dran bleibt, wenn man sich da nicht entmutigen lässt und vielleicht auch Gleichgesinnte findet, dann hat auch Kirche als Gemeinschaft eine Chance. Als Institution, würde ich sagen, ist es im Moment ganz, ganz schwierig. Da lege ich auch keinen Fokus drauf. Aber Kirche als Gemeinschaft, als Glaubensort halte ich nach wie vor für sehr, sehr wichtig.

DOMRADIO.DE: Denken Sie, dass Corona auch ein bisschen Einfluss darauf hatte, dass einige Menschen jetzt auch durch das Digitale gar nicht mehr hinkommen? Dass sie so ein bisschen raus sind und sich zurückgezogen haben?

Jürgens: Das ist sogar ganz eklatant der Fall. Die Kirche wird nach Corona nicht mehr so sein wie vor Corona. Selbst treue Katholiken haben gemerkt, dass es auch ohne Kirche ganz gut geht. Sie haben sich entweder online eingerichtet oder vielleicht dabei ihren Kirchenkontakt im Moment völlig verloren. Das hat im Grunde genommen die Entwicklung, die eh absehbar war, noch beschleunigt. Von daher glaube ich, dass Corona auch für eine größere Klarheit gesorgt hat. Wer ist aus Überzeugung dabei und wer hat sich vielleicht doch noch von einem Rest an traditionellem Erbe so mitziehen lassen?

Natürlich sind wir für alle offen, aber ich merke auch in meinen beiden Pfarreien, dass waren früher fünf Gemeinden, dass der Kirchenbesuch im Ganzen weniger geworden ist und dass wir uns überlegen müssen, was können wir überhaupt demnächst noch anbieten, um auch eine, sagen wir mal, wirksame Gemeinde zu sein.

DOMRADIO.DE: Für wen ist das Buch "Dranbleiben" geeignet? Für die, die zweifeln, enttäuscht sind und der Kirche den Rücken kehren wollen?

Jürgens: Das ist geeignet für Leute, die sich überlegt haben, auszutreten. Vielleicht finden Sie ein Argument, dran zu bleiben und drin zu bleiben in der Kirche. Das Buch ist auch für kritische Katholikinnen und Katholiken gemacht, die wirklich an der Kirche verzweifeln. Die sehen ja: Es ändert sich nicht viel.

Auch die reformorientierten Bischöfe und Laien bringen nicht viel zustande. Aber diejenigen, denen der Glaube an sich so wichtig ist, dass sie ihn nicht aufgeben wollen, werden wahrscheinlich dadurch gestärkt. Ich lege im letzten Kapitel auch Wert auf einige theologische Veränderungen, die wir brauchen.

Nicht geeignet ist das Buch für Zeigefingerheber, die sowieso immer alles besser wissen. Für sie ist das, glaube ich, nicht geeignet.

Das Interview führte Dagmar Peters


Stefan Jürgens (privat)
Stefan Jürgens / ( privat )
Quelle:
DR