KNA: Frau Hendricks, im Zentralkomitee der deutschen Katholiken kämpfen Sie für Veränderungen in der katholischen Kirche. Wofür setzen Sie sich persönlich ein?
Barbara Hendricks (Mitglied des ZdK, SPD-Bundestagsabgeordnete und frühere Bundesumweltministerin): Ich begrüße sehr, dass sich die katholische Kirche in Deutschland nun auf einen Reform- und Dialogprozess einlässt, den sogenannten synodalen Weg. Ich weiß, dass es innerhalb der Bischofskonferenz verschiedene Strömungen gibt und dieser Schritt nicht einfach für alle Bischöfe war. Ich bin nicht sicher, ob dieser Prozess überhaupt zu einvernehmlichen Ergebnissen führen wird oder nur zu wenigen Übereinkünften zwischen den Laien auf der einen Seite und der Bischofskonferenz auf der anderen Seite. Aber im Prinzip ist es ein wichtiger Schritt zur Erneuerung der Kirche in Deutschland.
KNA: Welche konkreten Ergebnisse würden Sie sich wünschen?
Hendricks: Ich wünsche mir, dass Laien stärker in die Kirche mit eingebunden werden - über das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hinaus. Wir müssen dringend über die Weiheämter reden. Mir ist bewusst, dass die katholische Kirche eine Weltkirche ist und dass Veränderungen vom Vatikan anerkannt werden müssen. Aber meiner Auffassung nach darf es innerhalb der einen großen Kirche auch Vielfalt geben. Wenn wir nicht zu dieser Vielfalt kommen, sehe ich auf Dauer die Gefahr, dass der Kirche in verschiedenen Regionen der Welt die Gläubigen davonlaufen.
KNA: Was genau sollte bei den Weiheämtern geändert werden?
Hendricks: Alle Weiheämter müssen auch für Frauen offenstehen. Ich habe mich daher auch nie an den Initiativen für das Diakonat der Frau beteiligt. Warum sollten Frauen nur zum Diakonat zugelassen werden, nicht aber zum Priester- und Bischofsamt? Dafür gibt es keinen Grund.
KNA: Können Sie sich mit der Bewegung Maria 2.0 identifizieren?
Hendricks: Ja. Maria 2.0 ist eine wirklich bemerkenswerte Initiative. Dass Frauen eine Woche lang allen Ehrenämtern in der Kirche ferngeblieben sind, war mehr als ein Streik und ein starkes Signal.
Wenn die katholische Kirche in Deutschland die vielen ehrenamtlich engagierten Frauen nicht hätte, wäre sie schon längst tot.
KNA: Sie sind mit einer Frau verheiratet und leben damit in einer Partnerschaft, die von Ihrer Kirche nicht abgesegnet ist. Welche Veränderungen würden Sie sich in diesem Bereich wünschen?
Hendricks: Ich erwarte von meiner Kirche nicht, dass sie gleichgeschlechtlichen Paaren erlaubt, sich das Sakrament der Ehe zu spenden. Das wäre vielleicht noch zu viel verlangt. Aber ich erwarte schon, dass meine Kirche gleichgeschlechtliche Partnerschaften segnet. Es gibt wirklich keinen Grund, Pferde, Traktoren und Häuser zu segnen, aber homosexuelle Paare nicht. Das kann nicht richtig sein.
KNA: Glauben Sie, dass die Kirchen das infolge des Missbrauchsskandals verloren gegangene Vertrauen wiederherstellen können?
Hendricks: Ich glaube ja. Aber das wird noch viel Mühe und Zeit kosten. Die erste Voraussetzung ist das klare Bekenntnis zu dem, was geschehen ist. Dazu ist es nun nach vielen Jahren endlich gekommen.
Daneben ist der Umgang der Amtskirche mit den Betroffenen wichtig - und auch der Umgang mit denen, die die Verfehlungen begangen haben und noch leben. Schließlich muss die Kirche sicherstellen, dass neue Vorfälle in Zukunft nicht mehr vertuscht und Täter hin und her versetzt werden. Das alles muss sauber abgearbeitet werden, um Vertrauen zurückzugewinnen.
KNA: Sehen Sie die Kirchen da auf einem guten Weg?
Hendricks: Das ist in jeder Diözese unterschiedlich. Ich glaube, dass man sich in den meisten Bistümern zumindest bemüht. Ob die Kirche wirklich schon auf einem guten Weg ist, da bin ich mir nicht sicher.
KNA: Das Thema Klimaschutz ist im Moment in aller Munde. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Schritte, die jetzt unternommen werden müssten?
Hendricks: Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 gegenüber 1990 insgesamt 55 Prozent CO2 einzusparen. Dafür müssen wir in fünf Sektoren Veränderungen herbeiführen: in der Energiewirtschaft, in der Industrie, im Verkehr, im Baubereich und in der Landwirtschaft. Wir brauchen für jedes dieser Felder klare Vorgaben, um so auch Verlässlichkeit für alle Beteiligten zu schaffen.
KNA: Das heißt, ohne Verbote und Restriktionen wird es nicht gehen?
Hendricks: Nein. Wir brauchen per Gesetz festgelegte Grenzwerte. Das ist ja auch nicht neu. Daneben finde ich es aber auch vernünftig, mit Anreizen zu arbeiten, was ebenfalls schon gang und gäbe ist. Wer eine neue Heizung in sein Haus einbaut, kann schon jetzt Zuschüsse bekommen. Allerdings könnten die Förderprogramme noch zielgenauer werden.
KNA: Wo sehen Sie die größte Herausforderung?
Hendricks: Im Verkehr. Im städtischen Bereich muss der motorisierte Individualverkehr zurückgedrängt werden. Dazu braucht es entsprechende Angebote wie Car-Sharing, einen besseren öffentlichen Nahverkehr und vernünftige Fahrradwege. Das ist übrigens ein Grundprinzip für alle Bereiche: Wir müssen ein gutes Angebot schaffen, um das uninteressant zu machen, was wir eigentlich nicht wollen.
KNA: Was halten Sie von Greta Thunberg und der "Fridays for Future" Bewegung?
Hendricks: Ich freue mich insbesondere deswegen darüber, weil jetzt endlich mal wieder über Politik debattiert wird - auch in den Familien. Manche Forderungen der Bewegung sind nicht so schnell umzusetzen, aber die Richtung stimmt. Dass junge Leute ungeduldiger sind und ihre Ziele etwas fordernder formulieren als ältere, ist doch absolut normal.
KNA: Welche Rolle würden Sie den Kirchen beimessen in dieser Klimaschutzdebatte?
Hendricks: Den Kirchen kommt zunächst im engeren Sinne eine wichtige Rolle zu, weil sie viele Gebäude haben. Hier haben sie durchaus auch schon gute Handreichungen erarbeitet. Im weiteren Sinne müssen sie ihre Stimme unter dem Gesichtspunkt Bewahrung der Schöpfung erheben.
Das dürfen sie ruhig noch ein bisschen stärker tun.
KNA: Wofür sollten die Kirchen konkret eintreten?
Hendricks: Sie sollten den Bürgerinnen und Bürgern - ob sie nun an Gott glauben oder nicht - deutlich machen, dass sie eine Verantwortung haben und dass sie ein gutes Leben leben können auch mit einer anderen Art von Konsum. Ich bin nicht dafür, immer nur Verzicht zu predigen. Wir müssen in Zukunft anders leben, aber das heißt nicht, dass wir schlechter leben müssen.
Das Interview führte Michael Althaus.