"Für die Kirche ist viel möglich. Wenn sie sich grundlegend reformiert, dann kann sie mitten in der Gesellschaft ankommen und viel bewirken. Deshalb wollte ich mein Buch auch 'Luft nach oben' nennen", sagt Pfarrer Stefan Jürgens im DOMRADIO.DE Interview. Der Verlag habe diesen Titel aber langweilig gefunden und stattdessen 'Ausgeheuchelt' vorgeschlagen. "Weil ich ja auch mit manchen Sachen scharf ins Gericht gehe", erklärt der katholische Priester.
Wie Schein und Sein auseinanderklaffen
Pfarrer Jürgens nimmt in seinem Buch kein Blatt vor den Mund. Er scheut nicht davor zurück, seine vorgesetzten Bischöfe heftig zu kritisieren. "Wir haben ein Leitungsproblem. Wir haben ein Managementproblem. An der Spitze der Kirche stehen Leute, die zwar fromm sind und die auch klug sind, die aber einfach nicht leiten können und nicht mitten in der Welt zuhause sind", sagt der Priester.
So heißt ein Kapitel in seinem Buch: 'Wie Schein und Sein auseinanderklaffen'. In diesem Kapitel geht es auch um Frauen im geistlichen Amt und 'Die Macht der ängstlichen Männer'. "Wir haben in der Leitung häufig nur Männer, die immer schon angepasst waren, schon seit Studienzeiten und deswegen irgendwann in hohen Ämtern angekommen sind", analysiert Jürgens.
"Frische Geister haben es da schwerer, reformorientierte Leute. Wenn man sich immer anpasst und immer selber mit der Angst lebt, wenn ich etwas falsch mache, dann falle ich von der Karriereleiter runter, oder wenn ich einmal etwas Mutiges sage, dann wird man immer ängstlicher". Pfarrer Jürgens vermutet, dass ängstliche Kirchenleitungsmänner sogar Angst vor Gott haben.
Männerbündische Starrsinnigkeit
Der katholische Priester bleibt aber nicht dabei, seinen Vorgesetzten ein psychologisches Attest auszustellen. Er argumentiert auch inhaltlich, das heißt theologisch. Wenn zum Beispiel behauptet werde, dass es keine Diakoninnen und Priesterinnen geben könne, weil Jesus nur zwölf männliche Apostel gehabt habe, dürften die Amtsträger auch nur männlich sein, stimme das historisch nicht, gibt Jürgens zu Bedenken.
"Die Bischöfe sind Nachfolger der ersten Gemeindeleiter – nicht der Apostel", sagt er. "Das ganze kirchliche Amt läßt sich nicht auf Jesus zurückführen". Jesus habe überhaupt kein Amt gestiftet, nicht für Männer und nicht für Frauen. Es sei allein einer männerbündischen Starsinnigkeit geschuldet, dass die Kirche den Weg für Frauen in das Priesteramt nicht frei mache, sagt der katholische Priester.
In seinem Buch erzählt er auch sehr persönlich aus seinem Leben. Er schildert seinen Weg als Priester, seine schockierenden Erlebnisse im Priesterseminar und kommt zu dem Schluss. "Das Priesterseminar hat ausgedient und es gehört abgeschafft. In einem solchen Käfig, in einer solchen theologischen und spirituellen Blase wird man nicht erwachsen", ist Jürgens überzeugt.
Der Glaube hat alle Selbstverständlichkeit verloren
Der dynamische Priester geht mit seiner Kirche hart ins Gericht, so dass man sich schon fragen kann, warum er überhaupt noch Priester bleibt, in einer Kirche, mit der er so sehr hadert. "Ich hadere gar nicht mit der Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden, sondern ich hadere mit einer Hierarchie, die dem Evangelium im Weg steht", sagt er.
"Ich hadere mit denen, die eine Reform verhindern und meinen, sie müßten die Kirche des 19. Jahrhunderts konservieren". Dieses Konservieren längst überholter Strukturen funktioniere nicht, erst recht nicht in einer Zeit, die von einer tiefen Glaubenskrise geprägt sei.
"Der Glaube hat alle Selbstverständlichkeiten verloren", sagt der Priester. "Man kann heute auch ohne Gott ganz gut durch das Leben kommen. Das merken viele Leute und deswegen verschwindet der Glaube, als würde er verdunsten". Heute müsse man andere Plausibilitäten aufzeigen und das gehe nur durch Vormachen, "durch ein persönlich glaubwürdiges Leben", ist Jürgens überzeugt.
Und genau deshalb schließt der Priester sein Buch mit dem katholischen Glaubensbekenntnis, das er in unsere Zeit übersetzt. "Ich bin auch in voller Überzeugung katholisch, weil ich denke, dass wir ohne Kirche nicht glauben können", sagt er. "Ich glaube dank, mit und trotz der Kirche. Erschüttert ist mein Vertrauen nicht in Gott aber in die Kirche".