Er war ein ausgesprochen schwieriger Charakter. Als päpstlicher Sekretär und Klostervorsteher einflussreich, als Lehrer und Schriftsteller gefeiert, benahm er sich selbstgefällig und rechthaberisch, ließ sich von frommen Damen umschwärmen, verspottete seine gelehrten Gegner mit beißender Ironie. Wissenschaftliche Auseinandersetzungen verwechselte er mit persönlichen Vernichtungskriegen. In seiner privaten Lebensführung war er ein Muster an Schlichtheit, doch mit derselben unbarmherzigen Härte begegnete er anderen, aggressiv, hochfahrend, verletzend.
Aber zu welchen Gefühlsausbrüchen und bitteren Tränen war dieser arrogante Mann fähig, wenn er sich selbst kritisierte! Er kannte seine Fehler und kämpfte gegen sie. Vielleicht wählte er mit der verbissenen Strenge gegen sich selbst den falschen Weg, vielleicht wurde er deshalb so hart und humorlos gegen andere – die es ihm freilich auch leicht machten. Die Menschen himmelten ihn an wegen seiner intellektuellen Fähigkeiten und ergötzten sich an seinen wütenden Ausbrüchen.
"Ich bin christlich geboren, von christlichen Eltern; schon in der Wiege bin ich mit katholischer Milch genährt worden!" Diese fromme Selbstdarstellung ist bereits eine Lüge im Dienst der Imagepflege, auf die sich Hieronymus raffiniert verstand. Denn der um 345 an der dalmatinisch-pannonischen Grenze im späteren Jugoslawien geborene Spross begüterter Eltern, ein verwöhntes Einzelkind, ließ sich erst mit 21 Jahren taufen, wie das durchaus üblich war, ohne große Begeisterung. Vorher hatte er in Mailand und Rom Rhetorik und Philosophie studiert – Voraussetzung für einen lukrativen Beamtenposten oder eine politische Karriere -, die lateinischen Klassiker verschlungen, aber auch in vollen Zügen die Reize eines ungebundenen Studentenlebens genossen.
Dann begann ihn plötzlich ungestüm die Frage nach der Wahrheit umzutreiben, nach den bleibenden Werten. Er stürzte sich in Askese und Meditation, suchte die Wüstenväter im Osten auf – und wurde von Depressionen, erotischen Zwangsvorstellungen, Glaubenszweifeln und seelischen Irritationen gequält. "Ich habe das Herzzerreißen erlebt", schrieb er einem Freund.
Nicht einmal an der geistlichen Lektüre fand er immer Freude, dieser quecksilbrige, hochtalentierte Geist mit den tausend Ideen und Interessen. "Während ich die Propheten las", erinnert er sich später, "sagte ich mir: Was klingen mir diese Reden doch so roh und ungepflegt!" Dann ängstigte ihn wieder ein Traum, in dem er sich vor einen Richterstuhl geschleppt sah, in ein blendendes Licht. "Über meine Religion befragt, gab ich zur Antwort: 'Ich bin Christ.' 'Du lügst', entgegnete mir der auf dem Richterstuhl, ‚du bist kein Christ, du bist Ciceronianer. Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz!’"
Hieronymus verbiss sich in seine Studien, lernte Hebräisch, ließ sich in Antiochien zum Priester weihen – aber nur unter der Bedingung, dass er weiter wie ein Mönch leben und hingehen könne, wo er wolle. Wie ein Mönch leben? Bald gehörte er zu den ersten Kreisen Roms. Denn Hieronymus traf dort in dem gelehrten Papst Damasus, der mehr Dichter als Theologe war, einen alten Freund wieder. Der Papst behielt ihn als Sekretär und beauftragte ihn damit, eine neue lateinische Übersetzung der Bibel zu erstellen.
"Zweibeinige Esel!"
Die Fleißarbeit, die ihn 23 Jahre lang beanspruchte und als "Vulgata" in die Geschichte der Wissenschaft einging, brachte Hieronymus viel Ruhm (manche sprachen schon von ihm als dem nächsten Papst), aber auch den üblichen Neid und die Missgunst der Trägen, die sich ihren liebgewordenen Bibeltext nicht nehmen lassen wollten, auch wenn er nachweislich falsch übersetzt worden war.
"Zweibeinige Esel!" knurrte der Gelehrte, der immer reizbarer und zänkischer wurde und sich mit allen möglichen Kollegen und Rivalen überwarf. Lediglich bei den vornehmen Römerinnen zeigte er sich von einer liebenswürdigen Seite; er bezauberte sie mit Redegabe und Selbstbewusstsein. In seiner "Geschichte berühmter Männer" porträtiert er 154 herausragende Figuren der Christenheit. Der erste ist Petrus, der letzte – Hieronymus.
Seine Anhängerinnen folgten ihm auch ganz selbstverständlich, samt Freundinnenkränzchen und Dienerschaft, als er nach dem Tod seines Gönners Damasus Rom verlassen musste und ins Heilige Land reiste. In Betlehem gründete er gleich vier Klöster. Die Mönche schulte er im sorgfältigen Abschreiben von Manuskripten – was später im Abendland zu ihrer Hauptbeschäftigung werden und Europa eine kulturelle Blüte bescheren sollte. Schwächer als seine spirituellen Reden und seine Übersetzungsleistungen sind seine Bibelkommentare, und auf seine flüchtige Arbeit bildete er sich auch noch etwas ein: Bloß zwei Wochen habe er für den Kommentar zum ganzen Matthäus-Evangelium gebraucht, erzählte er stolz herum.
Bewacht von einem freundlichen Löwen
Und dennoch steht Hieronymus, obwohl er nie offiziell heilig gesprochen wurde, am 30. September im Festkalender von Katholiken, Orthodoxen und Protestanten. Und er zählt neben Augustinus, Ambrosius und Papst Gregor I. zu den vier lateinischen "Kirchenvätern": Er hat der Christenheit eine hervorragende Bibelübersetzung und viele geistliche Impulse geschenkt und bewiesen, dass sich christlicher Glaube vor der kritischen Vernunft verantworten lässt.
Im Mittelalter haben ihn auch die einfachen Leute hoch verehrt; die zahlreichen Darstellungen von "Hieronymus im Gehäus" (am bekanntesten ist die von Dürer) zeigen ihn als Musterexemplar des einsamen Gelehrten am Studierpult, bewacht von einem freundlichen Löwen, der an sein Eremitendasein in der Wüste erinnert.
Damals als Klostervorsteher in Betlehem hat er vielen Pilgern aus dem Abendland die heiligen Stätten gezeigt, und seine geschäftstüchtigen Nachfolger pflegen heute dort in der Geburtskirche eine Höhle zu präsentieren, in der Hieronymus gehaust haben soll. Was natürlich ein Märchen ist. Gestorben ist er allerdings tatsächlich in Betlehem, am 30. September 419 oder 420 (die Forschung ist sich nicht einig), blind, müde und in der enttäuschten Erkenntnis, dass sein Streiten so oft fruchtlos gewesen war.
Als alter Mann hat er begriffen, worauf es wirklich ankommt: Man wollte ihn unbedingt noch zum Bischof machen, doch er weigerte sich und erklärte: "Man bringt mich nicht vom Kripplein Christi weg, mir ist nirgends besser. Eben an dem Ort, da mir Gott seinen Sohn vom Himmel gegeben hat, da will ich meine Seele hinauf in den Himmel schicken."