Himmelklar: Wir sind seit mehr als einem Jahr in der Pandemie. Was hat sich für Sie persönlich verändert?
Luise Kinseher (Kabarettistin und Schauspielerin): Für mich persönlich hat sich natürlich mein gesamtes Berufsleben völlig verändert, weil natürlich für Bühnenmenschen plötzlich alles aus war. Das ist ja nach wie vor so. Ich habe da verschiedene Phasen auch durchlitten, muss ich sagen, weil man natürlich zwischendurch frustriert ist. Ich wusste teilweise auch nicht, wie es weitergeht. Man ist ja immer mit dieser Unsicherheit konfrontiert: Wann geht es weiter, geht es überhaupt weiter?
Dann habe ich mich aber irgendwann selber "am Krawattl" gepackt, wie man bei uns in Bayern sagt, und ganz viele verschiedene andere Projekte angefangen. Ich habe dann zwei Buchprojekte in einem Verlag untergebracht und hatte auch noch diverse andere Sachen und habe jetzt richtig gut zu tun und freue mich eigentlich, dass ich jetzt Dinge mache, die ich aus Zeitgründen sonst nicht hätte machen können. Ich bin froh, dass ich das jetzt so hingekriegt habe, aber das war nicht von Anfang an so, muss ich ganz ehrlich gestehen.
Himmelklar: Wie war es denn am Anfang?
Kinseher: Erst einmal hat uns das ja alle getroffen. Wir wussten gar nicht: Was ist das jetzt eigentlich? Was kommt da auf uns zu? Was bedeutet es jetzt alles, wenn es heißt "Lockdown"? Man ist so auf sich selbst zurückgeworfen gewesen bei der ersten Welle und dem ersten Lockdown. Ich hatte mir da noch lustigerweise das Nasenbein zweimal gebrochen. Also für mich war das wirklich körperlich wie mental eine Vollbremsung erst einmal. Dann kam der Sommer, da wurde es ein bisschen leichter. Und hart war dann für mich der Herbst, weil wir eigentlich dachten: Wir können mit den ganzen Hygienekonzepten, die sich die Veranstalter dann ausgedacht haben, bestimmt auf geringerem Niveau und natürlich mit viel weniger Verdienst, aber wir können spielen.
Dem war ja dann nicht so. Der ganze Herbst fiel flach. Ich würde mal sagen, der November war so der härteste Monat. Da habe ich mich so ein bisschen adventlich eingemummelt und seit dem neuen Jahr bin ich aber wieder voll in der Kraft.
Himmelklar: Die Auftritte und das Finanzielle sind die eine Seite. Wie kriegen Sie das im Künstlerbereich mit: Was macht das mit den Menschen, wenn man einfach nicht seine Kreativität ausleben kann oder seinen Job machen kann?
Kinseher: Also, ich muss ganz ehrlich sagen, ich bin ja Kabarettistin. Ich kann ja dann auch noch schreiben, was ich jetzt natürlich auch mache. Wen es hart trifft, finde ich, sind meine Musiker-Freunde. Man kann zwar natürlich im Keller noch üben, aber das ersetzt nicht das Erlebnis, im Orchester oder in der Band zu spielen. Das ist so richtig hart, weil man macht halt Musik, Musik ist das Leben. Und da kann man jetzt nicht sagen: 'Na gut, dann schreib ich jetzt stattdessen mal einen Roman oder so.'
Da werden die Alternativen natürlich schon ein bisschen weniger bei vielen. Einige nutzen das als kreative Auszeit und versuchen, das Beste daraus zu machen, andere machen aber einfach irgendwelche Jobs oder so, um sich über Wasser zu halten. Das ist so ganz unterschiedlich.
Himmelklar: Was glauben Sie denn, was das mit uns langfristig macht? Hat das eine Bedeutung? Verändert sich die Gesellschaft, auch im kulturellen Sinn?
Kinseher: Ich hoffe, weil ich ja immer positiv denke, dass sich sogar etwas zum Besseren verändern könnte, weil man vielleicht dann doch erkannt hat – zumindest die Menschen, die Kultur brauchen und die auch lieben –, dass das nicht einfach so ein Konsumgut ist, das man so wegkonsumiert, sondern dass man vielleicht sogar wieder eine größere Wertschätzung hat. Auch dafür, wie wichtig das ist für unsere Gesellschaft, dass wir kulturelles Leben haben und dass wir kulturellen Austausch haben.
Das gilt einerseits für das Publikum, das gilt für die Veranstalter, das gilt aber auch für uns Künstler. Man lernt auch, dass nichts selbstverständlich ist. Ich glaube, als Künstler oder Künstlerin sollte man sich schon immer wieder auf seine Ursprünge besinnen, auch um nicht abzustumpfen und immer wieder in seine kreative Kraft zu kommen. Da schadet es nicht, wenn man einfach mal wieder genauer hinschaut und das Selbstverständliche, das Wegkonsumieren, das einfach Produzieren mal wieder hinterfragt und den tieferen Sinn hinter allem versucht zu ergründen.
Himmelklar: Gibt es auch in Ihrem Alltag eine Situation, wo Sie jetzt in der Pandemie oder auch sonst mit diesem Humor rangehen?
Kinseher: Ja, natürlich. Ich bin ja sowieso jemand, der immer eher die lustige Seite sieht. Ich sehe dann auch immer erst auf den zweiten Blick die Probleme. Ich ärgere mich jetzt nicht über die Absurditäten des Alltags bei irgendwelchen Hygienebestimmungen oder sonstigen Ungerechtigkeiten. Erst mal muss ich immer lachen über dieses menschliche, verzweifelte Tun und Handeln und Machen, damit man alles richtig macht und so weiter. Und erst auf den zweiten Blick sehe ich natürlich auch, dass das manchmal ganz schön ärgerlich ist oder ungerecht ist. Also, ich muss eigentlich mehr lachen als weinen.
Himmelklar: Die positive Grundeinstellung hört man da schon raus ...
Kinseher: Ja gut, aber wenn es natürlich darum geht, dass man krank wird oder so – da gibt es dann nichts mehr zu lachen.
Himmelklar: Wo genau liegt denn da die Grenze?
Kinseher: Die Grenze liegt da, wo es Opfer gibt und Menschen Schmerzen erleiden müssen, für die sie selber nichts können.
Himmelklar: Da darf man dann auch nichts mehr überspitzen oder aufs Korn nehmen …
Kinseher: Ich würde mal sagen, wenn, dann nur mit äußerster Vorsicht, weil Humor immer Distanz erfordert. Humor ist ja eine sehr intelligente Herangehensweise, wo man erst einmal aus einer gewissen Distanz heraus, aber schon mit Herz und Verstand, aber trotzdem aus einer Distanz heraus etwas beobachtet oder anschaut oder hinguckt. Der Karl Valentin hat das mal so schön gesagt: Jede Sache hat drei Seiten, eine positive, eine negative und eine komische.
Das Problem ist aber, dass Ironie, wenn man zu tief drinsteckt, einfach zu schmerzhaft ist. Da muss man ein bisschen aufpassen. Das ist wie bei Beziehungen auch, wenn man – auch wenn es nur so im Spaß ist – einen auf die Schwächen hinweist, dann kann das manchmal sehr verletzend sein. Da braucht man einfach auch viel Feingefühl und muss genau schauen, wie man es macht.
Himmelklar: Geht Ihnen das mit Ihrem Glauben oder mit Ihrem Verhältnis zur katholischen Kirche auch so, dass man da mit Humor herangeht bzw. das auch einfach mal distanziert betrachten muss?
Kinseher: Das ist ja manchmal – gerade jetzt bei diesen Missbrauchsgeschichten – natürlich ganz schwierig. Da vergeht mir dann auch der Spaß oder da wüsste ich jetzt nicht, wie man da jetzt Witze drüber machen soll. Es gibt ja genügend Witze über diese Themen, aber das finde ich meistens total geschmacklos. Man muss sich einfach Gedanken machen. Das ist eine Auseinandersetzung, die geht schon sehr tief und man kann es aber schon lösen, indem wir uns auch immer wieder als allzu menschlich betrachten.
Natürlich ist auch die Kirche ein menschlicher und manchmal auch verzweifelter Versuch, Gott auf Erden zu leben oder ihm eine Form zu geben. Und manches Bemühen geht einfach schief oder verursacht Leid oder Schmerz. Und wir müssen damit umgehen. Aber mit dem Glauben selber, mit meinem Glauben selber hat das nichts zu tun. Der ist da unerschütterlich.
Himmelklar: Woher kommt das, dass Sie da dann so tief verwurzelt sind?
Kinseher: Natürlich liegt das an meiner katholischen Erziehung. Und Jesus als spiritueller Lehrer oder als Wegweiser im Leben ist für mich immer wieder wichtig und auch immer wieder Hilfe, Trost und Segen.
Himmelklar: Ist das auch der Grund, warum das in Ihrem Programm vorkommt oder Sie sich damit auch beschäftigen?
Kinseher: Ich finde, wir sollten uns alle damit beschäftigen, weil ich glaube, dass so eine spirituelle Ebene jetzt auf dem Boden der Religion oder des Glaubens für uns Menschen schon sehr wichtig sein kann. Das Irdische und das Materielle – also letztendlich geht es darum, dass man sich als Wesen erkennt, das jetzt nicht nur hier auf der Erde ist und dann stirbt, sondern dass wir schon auch mehr sein können und auch miteinander mehr sein können. Da hilft natürlich die Botschaft von Jesus, so wie ich sie gelernt habe und so wie ich mit ihr aufgewachsen bin, uns schon sehr viel weiter.
Und selbstverständlich fließt es in meine Arbeit mit ein, weil das eine Grundhaltung ist. Das ist ja jetzt nicht etwas, das man sich mal so erfindet oder sagt: 'Ach, das hört sich gut an', sondern das ist ja was, das ist sehr tief in einem selber verankert. Das ist auch letztendlich das Unverrückbare, aus dem heraus ich übrigens auch sehr viel Kreativität schöpfe.
Himmelklar: Rührt daher dann auch die Hoffnung, zum Beispiel in Momenten wie jetzt im November?
Kinseher: Ja, klar. Also da hilft es mir natürlich schon, wenn ich weiß – oder wenn in mir dieses Gottvertrauen ist, dass ich schon wieder zu Kräften kommen werde und mir dann schon was einfallen wird und ich mich nicht unterkriegen lasse.
Himmelklar: … Eine positive Grundvoraussetzung also!
Kinseher: Ja, ich bin dafür immer sehr dankbar. Ich glaube immer ein bisschen, das ist eigentlich schon in die Wiege gelegt. Ich schätze das sehr als Geschenk, dass ich tatsächlich immer wieder dahin komme, auch wenn es mal im Leben nicht so leicht ist.
Das Interview führte Katharina Geiger.