Barbara Reible über Ihren Traumberuf in der Kirche

"Ich war krank und ihr habt mich besucht"

Kirche ist ein großer Arbeitgeber und beschäftigt neben Priestern die verschiedensten Berufsgruppen: Musiker, Architekten, Betriebswirte, Kunsthistoriker. Auch Barbara Reible hat ihren Traumberuf in der Kirche gefunden. Welchen denn?

Krankenhausseelsorge / © Werner Krüper (epd)
Krankenhausseelsorge / © Werner Krüper ( epd )

DOMRADIO.DE: Sie sind unter anderem Krankenhausseelsorgerin. Gibt es einen speziellen Moment, an den Sie sich erinnern, in dem Sie wussten: Ja, das kann ich gut?

Barbara Reible (Krankenhausseelsorgerin, Sterbe- und Trauerbegleiterin, Supervisorin): Ja, es gab einen speziellen Moment. Ich habe vorher, was nicht gerade der normale Weg zur Krankenhausseelsorge ist, Medizin studiert. Ich bin in einem ordensgeführten Haus im Krankenhaus von einer Ordensschwester gebeten worden: Sie müsse unbedingt weg zu einem Jubiläum. Ob ich denn noch zu einer Patientin gehen könnte. Die hätte unbedingt gebeten, noch einmal so ein Gespräch zu haben, vielleicht sogar zu beten. Ich sagte, ja klar, gehe ich hin. Und diese Dame hat mich dann wirklich stundenlang gefesselt, weil sie einfach mal "aussprudeln" wollte, was ihr im Moment gerade auf dem Herzen lag. Weil sie das Gefühl hatte, sie wollte noch einmal so richtig alles erzählen, weil es ihr sehr, sehr schlecht ging.

Das war so ein Moment, in dem ich gedacht habe, das könnte was sein. Ich spürte, ich habe da die Geduld und wollte nicht gleich wieder schreiend rausrennen. Im Gegenteil: Ich bin geblieben und es war gut und es hat ihr sehr, sehr geholfen. Und mir ist das insofern noch einmal nahegegangen, weil die Dame dann tatsächlich drei Stunden später gestorben ist.

DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie waren tatsächlich die letzte, mit der sie dann ausführlich reden konnte. Beobachten muss man neben dem Zuhören wahrscheinlich auch können. Sie müssen sich ja ein Bild davon machen, was dieser Mensch, der Ihre Hilfe anfragt, gerade braucht?

Reible: Ja, es ist extrem wichtig, weil Menschen manchmal wirklich nach Worten suchen. Und dann geht es über Gesten, kleine mimische Veränderungen. Oder sie sind sogar in der Sprache eingeschränkt, dann geht es vielleicht nur über Augensprache, dass man versucht, eine andere Codierung der Kommunikation zu finden. Das heißt "aktuell beobachten", achten auf nonverbale Zeichen, auf die Frage "was ist da vielleicht noch zwischen den Zeilen?". Denn selbst das, was gesagt wird, ist nicht unbedingt immer das, was dahinter steht.

DOMRADIO.DE: Das sind auch sehr intime Momente, oder?

Reible: So intim, wie es im Krankenhaus möglich ist. Wenn Sie im Zwei- oder Dreibett-Zimmer sind und da ist gerade Halligalli mit anderen Zuhörern und die Menschen können nicht mit mir auf den Gang oder in eine besondere Ecke, dann wird es etwas schwierig. Aber es ist sehr häufig sehr persönlich. Und der intime Bereich im Krankenhaus ist extrem eingeschränkt. Das ist aber das Gute, dass ich unter Umständen auch noch mal wiederkommen kann, weil ich nicht so im Zeitplan drinhänge wie Ärzte oder Krankenschwestern oder andere im Kosmos Krankenhaus.

DOMRADIO.DE: Geht Ihnen das manchmal auch sehr nahe, was Sie da hören?

Reible: Natürlich. Es gibt eine ganz besondere Situation. Wenn jemand erzählt, dass er gerade die Diagnose Krebs bekommen hat und dann nicht operiert werden kann. Und dann: "Sagen Sie bloß nichts meiner Frau". Ich verlasse irgendwann das Patientenzimmer, mache die Tür zu, vor der Tür steht die Frau, die gerade gekommen ist, und sagt: "Ich weiß, meinem Mann geht es nicht so gut, sagen Sie ihm bloß nicht, dass es ihm so schlecht geht".

Manchmal bin ich dann auch Türöffner zwischen beiden. Und manchmal muss ich einfach auch sagen, verflixt, wenn es vielleicht auch ganz junge Leute sind: "Warum?". Diese Frage kann ich nur dann irgendwie versuchen Gott anzutragen, wenn ich wirklich selbst darauf bauen kann und noch Hoffnungsdimensionen habe, mit der ich auch zu den Menschen gehen kann.

DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie spüren diesen Rückhalt auch in der Begleitung Gottes? Denn einen Rückhalt wird man auch brauchen, um das alles aushalten zu können.

Reible: Auf jeden Fall. Ohne ging es gar nicht. Vor allen Dingen auf Intensivstationen oder auch auf einer Station, wo vielleicht auch gerade Säuglinge oder Kinder verstorben sind. Das nimmt alle mit. Da können wir uns gar nicht entziehen. Und deswegen ist es wichtig selbst ein gutes Fundament zu haben. Bei mir ist es so, dass ich morgens mit einem Gebet anfange und mich zwischendurch auch mal kurz zurückziehe. Ich sage dann, ich trinke jetzt erst mal was, muss es ganz ruhig sacken lassen, bevor ich wieder dem nächsten begegne. Weil ich dann eine gewisse Offenheit mitbringen muss und nicht noch das alles mitschleppen sollte, was ich schon vorher erlebt habe.

DOMRADIO.DE: Können Sie sich vorstellen, beruflich etwas anderes zu machen?

Reible: Ehrlich gesagt im Moment nicht, weil es für mich der Idealberuf ist - die Verbindung zwischen Medizin und Seelsorge. Und vor allen Dingen kommt es dem Auftrag nahe, den ich immer haben wollte, mit Menschen etwas zu tun zu haben und den Auftrag zu erfüllen wie Matthäus: Ich war krank und ihr habt mich besucht [aus Mt 25,31-46].

Das Interview führte Verena Tröster.


Barbara Reible (privat)
Quelle:
DR