Den einfachsten Sarg hat sich Erika Kettner ausgesucht. Ein schmuckloses Kiefernmodell. "Er wird ja doch verbrannt", sagt sie. Aber vorher soll er mit Efeu geschmückt in der Kirche stehen. Auf Blumenschmuck will die 78-Jährige allerdings bewusst verzichten. Allein zwei kleine Kränze zur Rechten und zur Linken – ebenfalls aus Efeu gebunden und mit wenigen, fast grau farbenen Rosen – der seltenen Earl Grey Pale Lavender – soll es geben. "Zur Erinnerung an meine Eltern", begründet Kettner ihre Wahl. Sogar eine Zeichnung, wie sie sich die Aufbahrung vorstellt, hat sie angefertigt. Eben stilvoll, trotzdem schlicht und ohne jede unnötige Dekoration. So wie ihr Leben war. Und grau? "Das Morbide dieser Blume passt zu mir. Grelle Töne habe ich noch nie gemocht. Und diesen ganzen Blumenpomp bei Trauerfeiern auch nicht." Selbst ein Foto, das die Seniorin in einem für sie glücklichen Moment ihres Lebens zeigt und wie es mittlerweile – manchmal mit Trauerflor – am Eingang jeder Trauerhalle üblich ist, lehnt sie ab. "Wer zu meiner Beerdigung kommt, kennt mich ja und trägt mich ohnehin in seinem Herzen. Dafür braucht niemand eine optische Erinnerung."
Erika Kettner hat für sich vollkommen klar, wie der letzte Akt ihres Lebens einmal aussehen soll. Was sie will und was sie alles nicht will. Geradezu nüchtern hat sie das für sich durchgeplant. Kompromisse muss sie nicht machen – für wen auch. Und alle Formalitäten hat sie mit einem kleinen Bestatterunternehmen in Longerich, wo sie früher viele Jahrzehnte gelebt hat, besprochen. Zum Beispiel wünscht sie sich einen Gottesdienst in der Kölner Innenstadtkirche St. Kunibert: Hier wurde sie mitten im Krieg schon getauft. "Hierhin am Ende noch einmal zurückzukehren, das ist mir wichtig. Denn damit schließt sich ein Kreis." Schließlich wohnt sie gleich nebenan im St. Vincenz-Haus. Da gehöre sie sowieso zur Gemeinde.
Nichts soll dem Zufall überlassen sein
Bei der inhaltlichen Gestaltung der Exequien lässt sie den Menschen freie Hand, die ihr nahestehen und von denen sie weiß, dass sie ihrem Wunsch, alles so zu regeln wie von ihr vorgesehen, nachkommen und trotzdem diesen Abschied mit Anteilnahme, Gefühl und Leben füllen. Eine weitere Trauerfeier auf dem Friedhof soll es nicht geben. Auch das hat Kettner bereits verfügt. Sowie kein Reueessen im Anschluss. Allenfalls eine Traueranzeige in der Zeitung. "Damit alle informiert werden, die mich kennen." Ihre Urne soll auf dem Nordfriedhof an einem Baum beigesetzt werden. "Da ich Bäume liebe und diesen ganzen Kult auf dem Friedhof ablehne", so ihr Argument. Außerdem müsse dann niemand ihr Grab versorgen. In der Schuld anderer zu stehen – diese Vorstellung ist ihr ein Graus.
Die Endsiebzigerin, die vor zwei Jahren ihr geschmackvolles Dreizimmer-Apartment in Bergisch Gladbach-Refrath gegen eine weitaus kleinere Penthouse-Wohnung im fünften Stock der Senioren-Einrichtung am Konrad-Adenauer-Ufer eingetauscht hat, ist alleinstehend. Sie hat keine Kinder, Enkel oder sonstigen Verwandten, die sich selbstverständlich kümmern würden. Daher möchte sie Vorsorge treffen – für den Fall aller Fälle. "Das kann natürlich noch eine Weile gehen – schließlich verspüre ich noch ganz viel Lebensfreude – aber auch schon morgen passieren. Oder ich könnte plötzlich schwer erkranken und mit einem Tag auf den anderen für solche Entscheidungen keine Energie mehr aufbringen. Und dann soll nichts dem Zufall überlassen sein." Auch das stellt sie realistisch fest. Als große Entlastung erlebt sie daher für sich, dass dann alles, was zu diesem letzten Weg gehört, geregelt ist. "Ich war immer ein sortierter Mensch, habe notwendige Entscheidungen getroffen, wenn sie dran waren und ich selbst noch Herr der Lage war. Nicht von äußeren Umständen dazu gezwungen wurde. Und dazu gehört nun eben auch, meine eigene Beerdigung zu organisieren."
Aus verwilderten Grabstätten spricht große Herzlosigkeit
Der Schritt, ins Altenheim umzuziehen, solange die körperlichen und seelischen Kräfte dafür noch ausreichen, entsprach ebenfalls Kettners Vorstellung von einem selbstbestimmten Leben. Und er hat dem Wunsch, dass auch der definitiv "letzte Umzug", wie sie das nennt, noch einmal die eigene Handschrift trägt, enormen Vorschub geleistet. "Sterben ist nun mal der normalste Vorgang der Welt. Man darf den Tod nicht verdrängen; früher oder später kommt er ja doch. Und nun fühle ich mich wie befreit, dass ich, wenn es soweit ist, keinem etwas zumuten muss. Schließlich ist Zeit ein so kostbares Gut. Da will ich niemandem dauerhaft zur Last fallen."
Letztlich sei ein Grab für sie nicht mehr als eine Sache, sagt sie. Wenn sie die mitunter furchtbar verwilderten Grabstätten auf dem Friedhof sehe, für die sich kein Angehöriger mehr verantwortlich fühle, spreche daraus eine große Herzlosigkeit. "Das kommt für mich nicht infrage." Kettner setzt auf das Wesentliche. Viel wichtiger sei doch, erklärt sie, in den Herzen derer weiterzuleben, mit denen sie zu Lebzeiten eng verbunden war und die bei ihr einen Platz im Leben hatten. Daher vergehe kein Tag, berichtet sie, an dem sie nicht selbst nach all den Jahren noch zum Gedenken an ihre Eltern eine Kerze anzünde.
Mit vorzeitiger Planung selbst die Weichen stellen
Was sich für Außenstehende mitunter makaber anhört, macht für viele Bestatter mittlerweile einen Großteil ihres Tagesgeschäftes aus. Der Vorsitzende des Kölner Bestatterverbandes, Brian Müschenborn, verzeichnet pro Jahr fast genauso viele Beratungsgespräche in Sachen Vorsorge wie Bestattungen selbst. Tendenz steigend. Bei der Motivation gebe es eine riesige Bandbreite, beobachtet er. Natürlich die zunehmende Versingelung der Gesellschaft. Oder aber viele stünden gerade frisch unter dem Eindruck einer Beerdigung, die sie stark emotionalisiert habe, und kämen daher aus einer unmittelbaren Betroffenheit, erklärt Müschenborn. "Entweder hat ihnen die Feier so gut gefallen, dass sie sich so etwas auch für sich wünschen. Oder aber das Gegenteil ist passiert: So wollen sie es auf gar keinen Fall und daher mit einer vorzeitigen Planung selbst die Weichen stellen – oft bis ins letzte Detail. Dann wird neben dem Blumenschmuck, der Gestaltung der Todesanzeige und der Trauerfeier sogar der Anzug oder das Kleid festgelegt, in dem der bzw. die Verstorbene in den Sarg gelegt werden soll."
Für Paare könne der Einstieg ins Rentenalter der entscheidende Auslöser sein. Sie zahlten dann bei der Deutschen Bestattungsvorsorge Treuhand AG bereits den Betrag für ihre Bestattung ein, der selbst im Falle einer späteren Verarmung oder des Empfangs von Sozialhilfe zugriffssicher bleibt. "Das ist dann Teil ihrer Altersvorsorge und gibt vielen alten Menschen das beruhigende Gefühl, bezüglich einer würdigen Bestattung abgesichert zu sein."
Brian Müschenborn: Manche sind überrascht, was es alles gibt
Viele seien gerade während der Corona-Krise ohnehin "stark von der eigenen Endlichkeit angefasst" und würden sich mehr als sonst mit dem Thema Sterben und Tod auseinandersetzen. Die Bilder aus Italien zu Beginn der Pandemie hätten das zusätzlich verstärkt. "Nicht wenige Menschen fürchten, am Ende ihres Lebens ganz allein gelassen zu sein. Dem wollen sie entgegenwirken", so der Bestatter und studierte Theologe. Eine Hilfestellung könne dann sein, mit einer Art Mindmap, wie sie das Trauerhaus Müschenborn zur Verfügung stelle, zunächst die wichtigsten Fragen zu klären: Friedhof oder anonyme Bestattung, Priester oder Trauerredner, Erd- oder Feuerbestattung. "Manche sind überrascht, was es alles gibt. Andere kommen bereits mit sehr konkreten Vorstellungen. Und dann gibt es auch noch die Kontrollfreaks, die schon zu Lebzeiten immer alles im Griff haben wollten."
Vorsorgeanfragen in erheblichen Größenordnungen bekommt auch David Roth, Bestatter in Bergisch Gladbach. In der Summe bis zu 400 im Jahr. Doch ein solches Gesprächsangebot werde nicht nur von den Betroffenen selbst genutzt. Auch viele Angehörige machten sich bei einem Beratungstermin rechtzeitig kundig, stellt Roth fest. Dabei greift auch er zu einem Fragekatalog, mit dem er im Gespräch die wichtigsten Grundlagen für eine spätere Verbindlichkeit abzuklopfen versucht. Schließlich will er sich einen Eindruck davon verschaffen, was genau gewünscht wird. Denn nicht selten würden bei solchen Treffen überraschend unterschiedliche Vorstellungen zutage treten. Und er wünscht sich zufriedene Kunden.
David Roth: Ziel sind einvernehmliche Lösungen
"Wollen die Angehörigen zum Beispiel den Verstorbenen später noch einmal im Bestattungsinstitut sehen, um auch sprichwörtlich den Tod begreifen zu können, lehnen die Beteiligten das selbst oft im Vorfeld für sich ab", sagt er. Oder auch der Wunsch nach einer anonymen Bestattung, um niemanden über Jahrzehnte mit der Grabpflege zu belasten, stoße oft bei den eigenen Kindern auf Unverständnis. "Sie wünschen sich einen Ort für ihre Trauer." Dann sei es sein Ziel, so der Trauerexperte, zu einvernehmlichen Lösungen zu kommen, mit denen beide Seiten leben könnten.
Weitaus schwieriger wird es, wenn es eine schriftliche Verfügung des Verstorbenen gibt. Denn natürlich sei ein solcher Vertrag rechtlich bindend, erklärt Roth. Und wenn es kein Schriftstück gebe, der Bestatter aber der Totenfürsorge-Berechtigte sei, müsse nach dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen entschieden werden. „Das aber am liebsten in Kooperation mit der Familie“, betont der Leiter des Familienunternehmens Pütz-Roth, der gerne zwischen kontroversen Positionen vermittelt und dem die einfühlsame Begleitung von Angehörigen ein wichtiges Anliegen ist. Dabei hilft ihm oft ein Sinnspruch der Dichterin Mascha Kaléko, den er, wenn’s richtig vertrackt wird, schon mal gerne zitiert: Bedenkt – den eigenen Tod, den stirbt man nur, doch mit dem Tod der andern muss man leben.