domradio.de. Die Zukunft der Christen und Jesiden in der Region ist zurzeit ein gemeinsames Thema der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) und der Hanns-Seidel-Stiftung. Beide informieren unter der Überschrift "Keine Zukunft für Christen und Jesiden? - Europa in der Verantwortung" über die Lage im Nahen Osten. Da, wo entweder Sunniten oder Schiiten in der Mehrzahl sind, unterdrücken sie die jeweils anderen. Vor allem aber vertreiben und ermorden sie Christen und Jesiden. Max Klingberg von der IGFM, aus Ihrer Erfahrung - wer schürt diese Ressentiments untereinander?
Max Klingberg (Internationale Gesellschaft für Menschenrechte): Ressentiments gibt es schon sehr, sehr lange. Aber in den letzten 20 bis 30 Jahren haben islamische Fundamentalisten immer mehr an Rückhalt gewonnen. Und damit nimmt das Ausmaß von Ressentiments, von Hass und Gewalt eben stark zu.
domradio.de: Es ist ja tatsächlich so, dass Christen zu den am meisten Verfolgten gehören. Wo können die sich denn im Nahen Osten überhaupt noch aufhalten? Was für Möglichkeiten haben sie?
Klingberg: Die Länder im Nahen Osten sind sehr verschieden. Es gibt nach wie vor Länder, in denen Christen leben und auch große Minderheiten stellen. Nur haben sie eigenlich überall mehr oder weniger große Probleme. Große christliche Minderheiten leben in Ägypten und im Libanon. In beiden Ländern haben sie Schwierigkeiten, aber leben dort schon, seit es Christen überhaupt gibt. Im kurdischen Nordirak geht es ihnen vergleichsweise gut. Sie leben dort in Sicherheit. Aber Schwierigkeiten mit islamischen Extremisten haben sie in allen Ländern.
domradio.de: Zusammen mit der Hanns-Seidel-Stiftung informieren Sie heute in Berlin über diese Situation der Christen und Jesiden. Was genau ist Ihr Ziel?
Klingberg: Wir denken, dass man die Ursachen für die Gewalt, die es im Nahen Osten gibt, anpacken muss. Durch die Bank weg wird immer nur von Sicherheit gesprochen. Sicherheit ist elementar, Sicherheit ist wichtig. Aber es wird überhaupt nicht daran gedacht, warum diese Unsicherheit überhaupt so um sich greifen konnte: Da steht an erster Stelle religiöser Fanatismus. Es gibt noch andere Ursachen; zum Beispiel Tribalismus, der dort weit verbreitet ist. Aber das eigentliche Urübel ist das Erstarken von islamischen, extremistischen Strömungen.
Wenn es nicht gelingt, das zu überwinden, wird es auch nicht gelingen, dass da dauerhaft die verschiedenen Volksgruppen in Frieden leben. Es geht nicht nur gegen Christen. Sunnitsche Extremisten haben wahllos Schiiten umgebracht, einfach weil sie Schiiten sind. Und mittlerweile gibt es schiitische Milizen, die wahllos Sunniten umbringen, einfach, weil sie Sunniten sind. Es wird nie ein Ende haben, wenn man nicht daran arbeitet, diesen islamischen Fundamentalismus - oder gerenell Fundamentalismus - zu überwinden.
domradio.de: Sie sagen, das muss man überwinden. Was kann denn jetzt zum Beispiel die Bundesregierung aus der Ferne tun, um daran mitzuarbeiten?
Klingberg: Die Bundesregierung hat einen enormen Einfluss, wenn sie ihn denn nutzen will. Die Regierungen in den Staaten vor Ort könnten eine ganze Menge machen. Allerdings interessieren die sich für Islamisten nur dann, wenn die in ihren eigenen Ländern nach der Macht greifen - zum Beispiel in Ägypten. Die gegenwärtige Regierung verfolgt die Muslimbrüder mit unfassbarer Brutalität. Andere Islamisten, die nicht nach der Macht gegriffen haben, ignoriert sie komplett. Die schüren weiter Hass.
Die Regierungen im Nahen Osten könnten auch sofort loslegen und zum Beispiel die Lehrpläne und die Schulbücher ändern. In denen werden auch Ressentiments gegen Minderheiten geschürt. Das machen diese Regierungen aber nicht. Die Bundesregierung hätte die Möglichkeit, auf diese Partnerregierungen einzuwirken, damit die dem Problem tatsächlich ins Auge sehen.
domradio.de: Immerhin ganz aktuell: Nach dem Anschlag auf koptische Christen in Kairo hat Ägypten ja tatsächlich eine dreitägige Staatstrauer angeordnet. Es passiert also etwas. Glauben Sie, das ist heiße Luft?
Klingberg: Das ist eine sehr nette Geste, aber eben nur eine Geste. Und von Gesten allein lösen sich Probleme nicht. Man muss das angehen. Der jetzige Präsident - der frühere Feldmarschall al-Sisi - hat sich auch schon einmal an die islamische Führungselite seines Landes gewandt, die außerordentlich einflussreich ist und hat gesagt: Es muss eine Reform im Islam geben, so geht es nicht weiter. Nur, er hat das zweimal gefordert, ändert aber nichts.
Die größte staatliche Quelle für islamischen Extremismus ist die Al-Azhar-Universität, die früher in dem Ruf stand, liberal zu sein. Das ist eine staatliche Universität. Al-Sisi hätte Einfluss darauf. Nur, diese Auseinandersetzung scheut er. Und die Bundesregierung könnte die Regierungen im Nahen Osten motivieren, die Auseinandersetzung mit Fundamentalisten aufzunehmen.
Das Interview führte Verena Tröster.