Im Anbaugebiet Tettnang herrscht zur Erntezeit Hochbetrieb

Vom Hopfen gekratzt

Wenn im Spätsommer der harzig-würzige Geruch des Hopfens in der Luft hängt, ist Erntezeit im Hopfenanbaugebiet Tettnang. Ein Publikumsmagnet.

Autor/in:
Elisabeth Schomaker
Hopfendolden / © Sven Hoppe (dpa)
Hopfendolden / © Sven Hoppe ( dpa )

"Igitt, das klebt", quiekt Lea vergnügt und schaut auf ihre schwarzen Finger. Gemeinsam mit ihrer Schulklasse besucht die Siebenjährige das "Hopfengut No20" der Familie Locher im baden-württembergischen Tettnang. Mit geblümten Kitteln und Strohhüten auf dem Kopf sind die Kinder in die Rolle der Hopfenbrocker geschlüpft und zwicken mit den Fingernägeln Dolden von einer langen Ranke. Nur langsam füllt sich der Weidenkorb, in den die Schüler die geernteten Dolden geben.

"Der klebrige Saft an euren Fingern ist der Schatz des Hopfens. Das sind die ätherischen Öle, die wir beim Bierbrauen verwenden", erklärt Charlotte Müller. Gemeinsam mit ihrem vier Jahre jüngeren Bruder Lukas Locher führt die 33-Jährige das Familienunternehmen, das Hopfen an Brauereien in der ganzen Welt verkauft - mittlerweile in der vierten Generation.

"Solange die Menschen Bier trinken, braucht man auch Hopfen", sagt Lukas Locher und verlädt mit einem Gabelstapler große Säcke voll Hopfenpellets von einer Laderampe in einen Lastwagen. "Hopfen gibt dem Bier Charakter und Seele. Er macht es haltbar, sorgt für die Schaumstabilität und den typisch bitteren Geschmack." Für 100 Liter Bier benötige man etwa 100 Gramm getrockneten Hopfen, je nach Biertyp und Hopfensorte. Einige Hopfensorten verleihen dem Bier eine leichte Zitrusnote, andere erinnern an würzige und holzige Aromen wie Cognac oder Anis. Je früher man den Hopfen beim Brauprozess zugibt, desto bitterer wird das Bier.

Der Tettnanger Aromahopfen sei sehr gefragt, sagt Locher. Erst vor einigen Tagen sei ein amerikanischer Braumeister bei ihnen gewesen, um die Hopfensorte zu probieren und sich den Anbau anzusehen. "Wir profitieren im Moment sehr vom Craft-Beer-Trend. Die Bierlandschaft wird vielfältiger, weil Braumeister wieder mehr experimentieren, zum Beispiel mit einem hohen Hopfengehalt und verschiedenen Hopfensorten", erzählt der Experte.

Grünes Gold

Das "Hopfengut No20" beschränkt sich nicht nur auf den Anbau und die Verarbeitung des Rohstoffs. Auf dem 40 Hektar großen Gelände führt die Familie auch eine kleine Brauerei. Außerdem unterhält sie einen regelrechten Themenpark rund um das "grüne Gold". Neben einem Hopfenmuseum und Führungen über das Betriebsgelände gibt es Bierverkostungen mit einem Biersommelier und Brauseminare, bei denen die Besucher ihr eigenes Bier herstellen können. Schulklassen, Familien, Rentner, Kegelklubs: Zum Höhepunkt des Hopfenjahres, der Erntezeit zwischen Anfang August und Ende September, kommen mehrere Tausend Besucher am Tag. Ausnahmezustand auf dem landwirtschaftlichen Betrieb.

Tettnang gehört zu den größten Hopfenanbaugebieten der Welt und liefert gemeinsam mit anderen deutschen Anbaugebieten wie der bayrischen Hallertau und der Region Elbe-Saale rund zwei Drittel der weltweiten Hopfenproduktion. Das milde Bodenseeklima mit einem Mix aus Wärme, Sonnenschein und ausreichendem Niederschlag bietet ideale Bedingungen für die anspruchsvolle Pflanze. Locher führt eine Besuchergruppe aus dem Rheinland über das Gelände.

Die Männer um die 50 kennen sich schon seit der Schulzeit und machen einmal im Jahr einen Wochenendausflug. "Wir trinken halt gerne Bier", erklärt einer von ihnen das Ausflugsziel und schmunzelt. "Deshalb wollten wir uns mal angucken, wie Hopfen anbaut wird. Bei uns gibt es das ja nicht. "

Auf einem Holzsteg, der in sechs Metern über dem Boden in ein Hopfenfeld hineinragt, bleibt die kleine Gruppe stehen. "Hopfen wird bis zu acht Meter hoch", erklärt Locher. Doch bis dahin sei es ein langer Weg für den Hopfenbauern. "Wenn der Hopfen im Frühling die ersten Triebe bekommt, müssen wir die Pflanzen einzelnd um die Eisendrähte binden." Die Triebe haben Widerhaken und winden sich am rostigen Draht entlang nach oben - bis zu 30 Zentimeter am Tag und immer im Uhrzeigersinn, weil die Pflanze dem Sonnenstand folgt. "Man kann dem Hopfen regelrecht beim Wachsen zusehen", meint Locher. "Jeden Tag sieht das Feld anders aus."

In der Produktionshalle, der nächsten Station der Hofführung, steht die Gruppe dicht gedrängt an einem Geländer und schaut auf die Pflückmaschine hinab. Rotierende Walzen und Stahlfinger kämmen die Dolden von den Hopfenranken ab. Anschließend werden sie gereinigt und zur Trocknung im Darrturm transportiert.

Heiratsparadies

Bis in die Mitte der 1950er Jahre hinein war die Hopfenernte schwere Handarbeit. "Damals war die Ernte ein gesellschaftliches Großereignis", so Locher. Bis zu 10.000 auswärtige Saisonarbeiter kamen in die Region, um bei der Ernte zu helfen. Nur etwa 30 Prozent davon waren Männer. "Für Junggesellen war Tettnang ein Heiratsparadies. Beim Hopfenbrocken hatte man viel Zeit zum Reden. Da haben sich viele Paare gefunden. Nicht umsonst spricht man bei uns auch von der 'heißen Ernte'".

Heiß her geht es auch im Darrturm. Warme, stark würzig riechende Luft schlägt den Besuchen entgegen, als Locher eine Luke der Trocknungsanlage öffnet. "Durch die Wärme steigen die ätherischen Öle auf. Aber atmen Sie nicht zu lange ein, sonst wird Ihnen schummerig", warnt er mit einem Augenzwinkern. "Der Hopfen gehört nämlich zur Familie der Hanfpflanzen."

Neben seiner Rolle beim Bierbrauen wird Hopfen auch als Arzneimittel verwendet. Schon Hildegard von Bingen wusste von seiner antiseptischen Wirkung und setzte die Pflanze gegen Magenbeschwerden und Schlafstörungen ein. Die ätherischen Öle wirken beruhigend auf den Organismus und werden auch heute noch in Form von Dragees oder Tee als pflanzliches Sedativum verwendet. Die Männertrupppe aus dem Rheinland hat ihre Führung beendet und lässt den Tag bei einem Bier in der hofeigenen Gaststätte ausklingen.

Schließlich müsse man die Qualität des Tettnanger Hopfens auch in der Praxis prüfen, so der Tenor. Auch Lukas Locher gönnt sich ein Feierabendbier. Nur noch wenige Tage, dann sei die letzte Ranke eingeholt und die Saison vorbei, sagt der Hopfenbauer und nippt an einem selbstgebrauten Bier. Doch schon im Winter beginne das neue Hopfenjahr. Dann müssten die Drähte für die neue Saison vorbereitet und einzelnd aufgehängt werden. Harte Arbeit bei rund 100.000 Hopfenranken. Doch einen anderen Job kann sich der 29-Jährige nicht vorstellen. Bei ihm stimme das alte Sprichwort: "Wen der Hopfen einmal gekratzt hat, den lässt er nicht mehr los."


Quelle:
KNA