Deutlicher konnte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) seinen Dissens in der Flüchtlingsfrage mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kaum machen. Er schickte einen Vertreter zum Integrationsgipfel am Mittwoch und trat stattdessen mit Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz vor die Presse - also mit einem profilierten Kritiker von Merkels Flüchtlingspolitik.
CSU auf Konfrontationskurs
Die CSU eskaliert den Streit, denn ihr geht es um mehr als juristische Fragen oder Grenzverordnungen. Sie will einen Richtungswechsel und jenes Signal, das Merkel 2015 verweigerte: Deutschlands Grenzen sollen Flüchtlingen nicht mehr grundsätzlich offenstehen. Merkel konnte sich bei ihrer Flüchtlingspolitik zumindest stets auf die Kirchen verlassen - während die CSU teils auf Konfrontationskurs ging.
Seehofer hatte die CDU erst spät über die Inhalte seines "Masterplans Migration" unterrichtet - wohl im Wissen um deren Brisanz. Die Kanzlerin zog daraufhin die Notbremse und Seehofer sagte die angekündigte Vorstellung wieder ab. Die Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenzen gehört neben den Ankerzentren zum Kernpunkt von Seehofers Plan. Und gegenüber beiden Vorhaben äußern die Kirchen Vorbehalte.
Rein rechtlich geht der Streit um juristische Feinheiten: Seehofer will künftig alle bereits im europäischen Asylsystem EURODAC registrierten Asylbewerber an der deutschen Grenze zurückweisen. Nach deutschem Recht könnten Asylbewerber wohl nach Österreich zurückgewiesen werden. Doch gilt das sogenannte Dublin-Abkommen, wonach der Staat für das Asylverfahren zuständig ist, in dem der Schutzsuchende die EU betritt - meist Griechenland oder Italien.
Vorrang des EU-Rechts?
Merkel lehnt eine Zurückweisung ab und verweist auf den Vorrang des EU-Rechts. Demnach muss laut Dublin-Verordnung auch in Deutschland zunächst die Zuständigkeit geprüft werden. Danach kann der Flüchtling in das zuständige Land zurückgeführt werden - also eher nach Italien oder Griechenland als nach Österreich.
Die eigentliche Stoßrichtung des Vorhabens machte aber CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt deutlich: Es gehe um die Botschaft, "dass man nicht grundsätzlich die Chance hat, nach Deutschland zu kommen, nur weil man europäischen Boden betritt".
Nach außen also ein Signal, das einen vermeintlichen Sogeffekt nach Deutschland beenden soll, den die CSU schon in der "Willkommenskultur" 2015 sah. Nach innen soll die Herrschaft über die Landesgrenzen markiert werden, vor deren vermeintlichem Verlust die AfD warnt.
Unterstützung erhält Seehofer auch aus der CDU: etwa vom sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer und seinem Amtskollegen aus Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff. Beide sehen sich von der AfD bedrängt, die wiederum der CSU beim bayerischen Landtagswahlkampf im Nacken sitzt.
Hinter Merkels Vorbehalt steht ebenfalls Grundsätzlicheres: das Selbstverständnis Deutschlands innerhalb der EU und deren Zusammenhalt. Das Dublin-System war für Deutschland als EU-Binnenland zwar lange Zeit von Vorteil. Als 2015 die Zahl der Flüchtlinge drastisch stieg, brach das System allerdings zusammen. Griechenland und Italien waren überfordert, der Balkan drohte zu zerbrechen.
Merkel ließ die Grenzen offen - aus Solidarität mit den Flüchtlingen und um die EU zu retten.
Kirchen beobachten mit Sorge
Beide Beweggründe teilen die Kirchen. Sie befürchten bei einer wie auch immer gearteten Grenzschließung jenen Dominoeffekt, den Merkel seinerzeit verhindert hatte: ein Abdrängen der Flüchtlinge an die Außengrenzen und eine Erosion der EU als Wertegemeinschaft. Dass Italiens rechtspopulistischer Innenminister Matteo Salvini das Flüchtlingsschiff "Aquarius" abwies, könnte ein Menetekel sein.
Eine substanzielle Reform des EU-Asylrechts mit solidarischer Lastenübernahme steht weiter aus. Merkel hofft auf weitere Schritte beim EU-Gipfel Ende Juni. Dobrindt bleibt skeptisch: "Wir setzen das Thema Zurückweisung durch", so seine Ansage. Österreichs Kanzler Kurz sprach sich für eine "Achse der Willigen" mit Italien und Deutschland aus. Seehofer und Merkel wollen sich bis Ende der Woche einigen. Für Merkel wird es eng - trotz aller Unterstützung der Kirchen.