Im innersten Zirkel die Kirche, umgeben vom Dorfplatz mit dem Schwesternhaus, darum herum die Häuser der einzelnen Kinderdorffamilien: Der Kölner Star-Architekt Gottfried Böhm hat Ende der 60er Jahre dem Geist von Bethanien in Bergisch Gladbach-Refrath ein steinernes Gesicht gegeben. Dieser Geist weht hier bis heute.
Viel Wirbel im Haus Nummer sieben
Auch wenn die Dominikanerinnen von Bethanien weniger und älter werden: Im Mittelpunkt steht noch immer ihre besondere Spiritualität des Willkommenheißens und ihr Dienst an Kindern aus schwierigen Verhältnissen.
Im Haus Nummer sieben wohnt Schwester Agnes Lölver mit ihren derzeit sieben Kindern; die sind zwischen vier und fünfzehn Jahre alt und bringen ordentlich Leben in die Bude. Gerade sitzt die 60-Jährige in Hose und Kapuzenpulli am Küchentisch und bespricht mit der neunjährigen Svenja, wie die sich ihren Geburtstag am Wochenende wünscht. Auf jeden Fall werden ihre Eltern kommen, darauf freut sich das Mädchen.
Schwester Agnes freut sich mit, schließlich sagt sie ihren Kindern immer: "Du hast eine Mama. Ich kann sie vertreten, aber ich bin nicht deine Mutter. Ihr alle habt Eltern, die bleiben ein Leben lang." Das sei ganz wichtig, ebenso wichtig wie die Tatsache, dass sie selbst gleichzeitig ihrer Kinderdorffamilie vorsteht und Ordensfrau ist. Ihre Kinder sind beispielsweise gewohnt, dass sie sonntags die Ordenstracht anzieht und in die Kirche geht.
Bodenständigkeit und Gebete
Gespräche über Gott und Glauben gehören zum Alltag genauso dazu wie Gebete. Gerade ihre muslimischen Pflegekinder interessiere das sehr, erzählt Agnes, die selbst vor vielen Jahren als Praktikantin im Bethanien Kinderdorf Schwalmtal-Waldniel am Niederrhein angefangen hat.
Ihr gefiel das Konzept damals so gut, dass sie erst Kinderdorfmutter und schließlich sogar Ordensfrau wurde. Beeindruckt habe sie damals besonders die Bodenständigkeit der Schwestern, sagt Schwester Agnes.
Irgendwann habe sie dann dieser "besondere Geist von Bethanien" erfasst. Den auf den Punkt zu bringen fällt ihr nicht leicht. Er habe mit Zugewandtheit zu tun, meint sie, mit einer besonderen Hingabe an Kinder, die es im Leben bisher nicht so gut hatten.
Immer mehr Laien im Boot
In der Tat liegt die Aufgabe der Dominikanerinnen von Bethanien seit der Nachkriegszeit darin, elternlose, von ihren Eltern vernachlässigte oder sonst irgendwie benachteiligte Kinder bei sich aufzunehmen. Waren zunächst die meisten Kinderdorfmütter auch Ordensfrauen, holten sie sich im Laufe der Jahrzehnte immer mehr Laien ins Boot, Erzieherinnen, Sozialarbeiter und Psychologinnen.
Heute ist Schwester Agnes eine der wenigen Dominikanerinnen von Bethanien, die noch selbst eine eigene Kinderdorffamilie haben, in Bergisch Gladbach ist sie im Moment die einzige. Trotzdem spielen auch hier die Schwestern weiter eine wesentliche Rolle. "Genau wie ich sind auch die Mitschwestern im Schwesternhaus immer für die Kinder da, jederzeit erreichbar". Was das für Jungen und Mädchen bedeutet, deren Eltern eben nicht für sie da waren, lässt sich nur erahnen.
Genau wie eine Familie, nur ganz anders
Schwester Agnes hat im Haus Nummer sieben genauso ihr eigenes Zimmer wie Svenja, Karim, Leyla, Thomas, Kevin, Jana und Katharina. Mehr Zeit als dort allerdings verbringen sie gemeinsam im Wohnzimmer oder der Küche.
Sie spielen gern und viel – so wie jetzt zum Beispiel "Halligalli", über dessen genaue Regeln die drei Jüngsten uneinig sind, was sie nicht davon abhält, mit Begeisterung auf die dazu gehörige Klingel zu hauen. Außerdem verbringen sie viel Zeit im großen Garten mit Trampolin, den sie alle zusammen pflegen und wo sie im Sommer auch mit Vorliebe essen und Hausaufgaben machen.
Jeden Tag muss Schwester Agnes den Spagat hinbekommen zwischen ihren Aufgaben als Mutter und Managerin einer großen Familie und den Anforderungen des Ordenslebens. Praktisch sieht das zum Beispiel so aus, dass sie morgens um kurz vor sechs aufsteht, nach und nach alle Kinder weckt und mit Frühstück versorgt.
So normal wie möglich aufwachsen können
Wenn die letzten Richtung Kindergarten und Schule das Haus verlassen haben, geht sie zum Gebet und dann zum Frühstück mit den Mitschwestern. Danach kehrt sie zurück nach Hause, um sich ums Mittagessen zu kümmern, gemeinsam mit ihren "Kollegen": einer Haushaltshilfe und drei pädagogischen Mitarbeiterinnen.
Gemeinsam sorgen sie dafür, dass die Kinder so normal wie möglich aufwachsen können, dass sie sich in ihren Sorgen und Ängsten aufgefangen wissen. Dass sich die Kinderdorfgeschwister oft auch untereinander Trost und Halt geben, ist eine Erfahrung, die Schwester Agnes immer wieder macht: "Wir durchleben miteinander schwere Zeiten und gute Zeiten, wir versuchen, füreinander da zu sein und unser Leben zu teilen."
Dazu gehört auch das Kuscheln, der enge körperliche Kontakt. Immer wieder klettern die Kleinen auf Schwester Agnes’ Schoß, schlingen ihr vertrauensvoll die Arme um den Hals. So entstehen Bindungen fürs Leben. Im Flur erzählt eine regelrechte Bildergalerie von all den Kindern, die hier im Laufe der letzten zwanzig Jahre mit Schwester Agnes gelebt haben. Mit den meisten steht sie bis heute in gutem Kontakt: "Von meinen Großen haben einige längst selbst Kinder. Die kommen uns dann mit den Enkeln besuchen."
Hilde Regeniter