Im Flüchtlingslager an der tunesischen Grenze finden Tausende Zuflucht

Gaddafis fliehende Gastarbeiter

Libyens Wirtschaft lebt von Gastarbeitern aus allen Ländern. Jetzt, wo Staatschef Muammar al-Gaddafi einen Krieg gegen sein eigenes Volk entfesselt und die UN mit der Resolution zu einer Flugverbotszone reagiert hat, verlassen die Migranten das Land aus Angst vor der Gewalt.

Autor/in:
Reiner Wandler
 (DR)

Über 120.000 Flüchtlinge sind seit dem 21. Februar allein im benachbarten Tunesien angekommen. Sie warten im Zeltlager Shousha, zwischen dem Grenzübergang Ras Ajdir und der ersten Stadt auf tunesischer Seite, Ben Gardane, darauf, in ihre Heimat ausgeflogen zu werden.



Das Lager ist für 20.000 Menschen ausgelegt. Errichtet haben es internationale Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz, das UN-Flüchtlingskommissariat und Islamic Relief unter Leitung der tunesischen Armee. Rund 16.000 Flüchtlinge leben derzeit noch dort. Jeden Tag kommen rund 2.000 weitere Gastarbeiter hinzu und etwa 4.000 werden vom internationalen Flughafen der eineinhalb Stunden entfernten Urlaubsinsel Djerba ausgeflogen.



Für eine Gruppe von Bauarbeitern aus Bangladesch ist es soweit. Sie warten geduldig vor der Abfertigungshalle auf eine von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) gecharterte Maschine. "Wir waren über zwei Jahre in Libyen", erzählt einer von ihnen in gebrochenem Englisch. Für einen koreanischen Baukonzern haben sie Stahlmatten verlegt. "Die Chefs wurden ausgeflogen, wir blieben zurück", berichten sie.



"Sie haben mir das Leben wiedergegeben"

Für teures Geld haben sie sich bis an die Grenze durchgeschlagen. Überall wurden sie Zeugen von Feuergefechten. Sie berichten von Toten in der Stadt Az-Zaouia. Eine große Reisetasche ist alles, was die meisten noch haben. Das Unternehmen blieb ihnen die letzten vier Monatsgehälter - insgesamt rund 2.000 Euro - schuldig. Die libyschen Soldaten haben ihnen Geld, Handys, Kameras und Notebooks abgenommen.



Hinter den Arbeitern liegen fünf Tage im Flüchtlingscamp Shousha, mit langen Schlangen an der Essensausgabe, dem sandigen Wind und den kalten Nächten. Doch auf die Tunesier lassen die Flüchtlinge nichts kommen. "Sie haben mir das Leben wiedergegeben", berichtet einer der Männer. Seine Kollegen stimmen ihm zu. Auf der Flucht haben sie in zwei Wochen nur einmal ein belegtes Brötchen ergattert. "Im Camp gab es dann Essen im Überfluss", loben sie die Versorgungslage.



"Was ich in Tunesien antraf, ist eine Erfolgsstory", sagt Gilbert Greenall, der Verantwortliche der UN-Katastrophenhilfeorganisation UNDAC vor Ort. Der Brite, der seit 30 Jahren humanitäre Hilfe leistet, kam mit seinem Team mehr als eine Woche nach Beginn der Flüchtlingswelle. 15.000 Menschen täglich erreichten Tunesien in der ersten Woche der libyschen Proteste.



Alle nur erdenkliche Hilfe

Tunesien hat seit dem Sturz des Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali am 14. Januar so gut wie keine staatlichen Strukturen mehr. Dennoch wurde den Flüchtlingen alle nur erdenkliche Hilfe zuteil. Über lokale Radios, Schulen, Vereine, Moscheen, und selbst per Facebook sammelten die Tunesier spontan Geld, Kleidung und Verpflegung.



Die tunesische Armee unterstützte sie dabei. "Die Transportfrage war unser größtes Problem", sagt der Sprecher der Leitung des Flüchtlingslagers, Oberst Feithi Bayoudh. "Jetzt fliegen wir dank internationaler Unterstützung mindestens doppelt so viele Menschen pro Tag aus, wie neue hinzukommen." Allein 65.000 Ägypter wurden in ihre Heimat gebracht. Aus Bangladesch sind es über 10.000. Sorge bereiten Bayoudh allerdings die Flüchtlinge aus Somalia, denn "dort herrscht Krieg".