Im Schatten des Papstes stellt sich die deutsche Kirche neu auf

Vergewisserung und Aufbruch

Glaube und Vernunft sind kein Widerspruch - Papst Benedikt XVI. betonte diese Überzeugung mehrfach während seines Bayernbesuchs vom 9. bis 14. September. Im Schatten der Kritik an einem als islamfeindlich verstandenen Passus seiner Rede an der Universität Regensburg ging der Optimismus dieser Botschaft fast unter: Wer sich als gläubiger Mensch dem Dialog der Moderne stellt, braucht seine Religion nicht außen vor zu lassen.

 (DR)

Die Diözesen haben sich neu aufgestellt
Der Papst formulierte - mochten Medien im Vorfeld noch so sehr nach rührselig-bajuwarischen Motiven suchen - eine Botschaft für ganz Deutschland und Europa. Wie diese Mahnung war so einiges während dieser weiß-blauen Tage typisch für die Befindlichkeit 2006 der katholischen Kirche in Deutschland. So gehört der Bayernbesuch des Papstes zu jenem Bild der Selbstvergewisserung, das die katholische Kirche in Deutschland derzeit prägt.

Die 27 Diözesen müssen sich - mag die Zahl der Kirchenaustritte auch zurückgehen - nach wie vor mit sinkenden Finanzmitteln und strukturellen Änderungen auseinander setzen. Aber während der vergangenen zwölf Monate dominierten nicht mehr alarmierende Meldungen über Bistümer am Rande der Pleite. Allmählich wird deutlich, wie sich die einzelnen Sprengel neu aufstellen wollen.

Das Erzbistum Berlin, das vielfach als Symbol der kirchlichen Finanznot gilt, ist im Konsolidierungsprozess fortgeschritten. Es passt, dass sich die Bischöfe bei ihrer Frühjahrsvollversammlung im April nun schwerpunktmäßig mit pastoralen Zukunftskonzepten befassen wollen.

Kirchentag und neue Ortsbischöfe
Der Katholikentag in Saarbrücken, der Ende Mai unter dem Motto "Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht" stand, ragt gewiss nicht aus der Reihe der zweijährlich stattfindenden Standortbestimmungen heraus. Dafür waren nicht nur das wenig weltmeisterschaftliche Wetter und der begrenzt einladend wirkende Charme der Stadt verantwortlich. Manchmal verliert sich ein Treffen auch in der Breite.

Die beiden Ernennungen von Ortsbischöfen, die 2006 erfolgten, lassen aufhorchen. Die neuen Oberhirten von Hildesheim und Eichstätt, Norbert Trelle und Gregor Maria Hanke, stehen für eine dialogische Kirche. Im Kreis der Bischöfe dominiert wieder der mutigere Blick nach vorne. Ein Indiz dafür ist die für Ende Februar geplante Reise aller deutschen Ortsbischöfe ins Heilige Land - eine lange geplante, des öfteren vertagte Unternehmung von hoher Bedeutung und auch von diplomatischem Anspruch.

"Ökumene der Profile"
Im Schatten der katholischen Selbstvergewisserung, die gelassener anmutet als noch vor fünf Jahren, kommen von evangelischer Seite stärkere Bemühungen um Profil. Diese "Ökumene der Profile" lässt sich an scheinbaren Kleinigkeiten fest machen. Gewiss zufällig parallel zum jährlichen Michaelsempfang des Kommissariats der deutschen Bischöfe in Berlin lud der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Wolfgang Huber Gäste zu einem seiner "Bischofsdinner" in ein Berliner Fünf-Sterne-Haus mit einer Bundesministerin als Referentin. Und als Huber beim Thema Stammzellenforschung von der gemeinsamen Linie der Kirchen abwich, erfuhr das die katholische Seite aus den Medien. Groß kommentiert wird das nicht.

Der neue ökumenische Stil mag es schwerer machen, gemeinsam in Politik und Gesellschaft Gehör zu finden. Noch beeindruckte die einmütige Mahnung zur Ausrichtung am Gemeinwohl, die beide Kirchen im November im 50-seitigen Gemeinsamen Wort "Demokratie braucht Tugenden" vorlegten. Die gelegentlich formulierte kirchliche Gegenrede zur Politik galt 2006 schwerpunktmäßig der Familienpolitik und den Reformen der Sozialsysteme.

Die Kirche in Wertedebatten
Die Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach, Renate Köcher, ist unsicher, ob die Kirchen eine große Rolle bei grundlegenden Wertedebatten spielen. "Die Frage ist, ob sie nicht zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, um das Bedürfnis nach Orientierung und die größere Offenheit für religiöse Themen aufzunehmen", sagte sie in einem Interview. Längst gibt es auch andere Kräfte in diesem Spiel. Die produktive Entfaltung der päpstlichen Ausführungen zu "Glaube und Vernunft" geht längst durch alle Feuilletons der Zeitungen. Philosophen, Zeitgeist-Autoren, Religionssoziologen diskutieren.

Anfang Dezember lud die Herbert-Quandt-Stiftung in Berlin in kleiner Runde Wirtschafts-, Wissenschafts- und Medienvertreter an einen Tisch. Die Stiftung kreist 2006 und 2007 schwerpunktmäßig um die Frage nach der gesellschaftlichen Mitte in Deutschland.

Hoch über dem Pariser Platz referierte ein katholischer Moraltheologe über die Rolle der Kirche. Der Abend war nur ein Beispiel für eine Annäherung an das Thema im außerkirchlichen Bereich. Und bei der Bertelsmann-Stiftung stieß Stifter Reinhard Mohn das umfangreiche Projekt "Die Rolle der Religion in der modernen Gesellschaft" an. Es soll sich der kultursoziologischen Bedeutung von Religion widmen. Für 2007 steht ein erstes "Religionsmonitoring" an. Gesprächspartner und Themen sind also da. Abzuwarten bleibt, wie sich die Kirche dem Dialog stellt.