Der Vatikan stellt sich hinter den Appell von US-Präsident Joe Biden, den Patentschutz für Corona-Impfstoffe auszusetzen. Zugleich sprach der Vertreter des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen in Genf von konkreten Chancen auf eine weltweite Freigabe "in den nächsten Monaten".
Die beispiellose Krise verlange, dass sämtliche Eigentumsrechte, Wissen, Technologie und Daten von allen Herstellern weltweit genutzt werden könnten, sagte der Vatikandiplomat Erzbischof Ivan Jurkovic am Freitag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die Regierungen hätten die gemeinsame Verantwortung, technologische und eigentumsrechtliche Barrieren zu überwinden.
Glücklicherweise gebe es einen internationalen Rechtsrahmen, der eine solche Kooperation erlaube, so der Nuntius. "Im Licht der Entwicklungen der vergangenen Wochen und der intensiven Diskussionen hier in Genf könnten wir in den nächsten Monaten zur Gewährung einer entsprechenden Ausnahmeregelung gelangen", sagte Jurkovic.
Innovativer Ansatz
Zur Rechtfertigung verwies der Diplomat auf die "schon prekäre ökonomische Lage vieler Länder, deren Wirtschaften von der Pandemie hart getroffen sind". Mit einer Aussetzung einschlägiger Abschnnitte des TRIPS-Abkommens über handelsbezogene Aspekte von Rechten geistigen Eigentums könne man Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation freistellen, inwieweit sie Patente und andere Eigentumsrechte auf Covid-Medikamente, Impfstoffe, Diagnosemethoden und Medizintechnik wie Masken und Beatmungsgeräte anwenden wollten.
Dies ermögliche es den Ländern, in Forschung, Entwicklung und Produktion beim Kampf gegen die Pandemie zusammenzuarbeiten.
Jurkovic sprach von einem "innovativen" Ansatz. Konkret gehe es um eine Freistellung von den Abschnitten 1 (Urheberschutz), 4 (Gewerbliche Muster), 5 (Patente) und 7 (geheime Informationen) in Teil II des TRIPS-Abkommens. Der Erzbischof betonte, der Heilige Stuhl habe als einer der ersten im vergangenen Herbst entsprechende Vorschläge auf eine Patentfreigabe von Indien und Südafrika unterstützt.
Katholisches Institut: Rasch über Biden-Vorschlag verhandeln
Das Missionsärztliche Institut in Würzburg (MI) hat unterdessen rasche Verhandlungen über den Vorschlag von US-Präsident Joe Biden zur globalen Lockerung des Patentschutzes bei Covid-19-Impfstoffen gefordert. Deutschland und die gesamte Europäische Union müssten ihre Blockadehaltung aufgeben, forderte MI-Fachreferent Tilman Rüppel im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Freitag.
"Es ist eine Katastrophe, und in der Katastrophe muss man alles tun, um sie zu bekämpfen."
Ein Vorschlag aus Indien und Südafrika liege seit Oktober bei der Welthandelsorganisation WTO vor und werde mittlerweile von mehr als 100 Ländern unterstützt. Es gelte nun, schnell über einen konsensfähigen Text zu beraten. Der Fachreferent verwies darauf, dass die Lockerung nur so lange gelten solle, bis die Weltgesundheitsorganisation WHO die Pandemie für beendet erklärt habe.
"Munition gegen dieses Virus"
Die vorübergehende Aussetzung der Patente dürfe sich zudem nicht auf Impfstoff beschränken. Auch Atemschutzmasken, medizinischer Sauerstoff und Medikamente, die bei der Behandlung von Erkrankten eingesetzt würden, müssten einbezogen werden, so Rüppel. "Das ist alles Munition gegen dieses Virus." Außerdem müsse neben der Lockerung bei den Patenten der Austausch von Technologien über den entsprechenden Pool bei der WTO ermöglicht werden. So könnten Produktionskapazitäten aufgebaut werden. Es sei schon seit Oktober wertvolle Zeit verloren worden, um die nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Die Umstellung einer Produktion dauere etwa ein halbes Jahr.
"Erst wurde absichtlich blockiert und jetzt beschwert man sich, dass es zu spät kommt", Rüppel. Zudem gebe es bereits jetzt Fabriken, die sofort oder innerhalb weniger Monate Impfstoff herstellen könnten, etwa der größte Generika-Hersteller der Welt aus Israel, in Kanada, aber auch im Senegal. Allein auf Weltimpfprogramme wie die Covax-Initiative zu setzen, reiche nicht. Außerdem sei diese immer noch nicht ausreichend finanziert.
Der Referent an der Katholischen Fachstelle für Internationale Gesundheit wollte nicht ausschließen, dass sich die bisher ablehnende Haltung der Bundesregierung zu Bidens Vorstoß noch ändere. Es gebe schon jetzt unterschiedliche Stimmen in der Koalition. Zudem zeige das Beispiel von Bill Gates und seiner Stiftung, dass sich Positionen rasch ändern könnten. Gates habe sich am Mittwoch noch ablehnend geäußert, nun unterstütze er den Vorschlag.