Internationaler Appell gegen "selektives Gesundheitswesen"

 (DR)

Vor einer Zwei-Klassen-Gesundheitspolitik Europas warnt ein Appell, der von der katholischen Gemeinschaft Sant'Egidio initiiert worden ist. "In der Covid-19-Pandemie sind die alten Menschen in vielen europäischen Ländern wie auch anderswo in Gefahr. Die dramatischen Zahlen der Toten in Heimen lassen uns schaudern", heißt es in dem Aufruf, der seit Mittwoch (20.05.2020) in mehreren Sprachen auf der Website der Gemeinschaft zu lesen ist. Der Appell trägt die Überschrift "Unsere Zukunft - nicht ohne die alten Menschen". In vielen Ländern tauche "ein gefährliches Modell auf, das sich für ein selektives Gesundheitswesen ausspricht, in dem das Leben von alten Menschen als zweitrangig betrachtet wird". Deren größere Verletzlichkeit, ihr fortgeschrittenes Alter sowie möglicherweise weitere vorliegende Erkrankungen sollten "eine Form der Auswahl zugunsten der Jüngeren und Gesünderen rechtfertigen". Eine solche Entwicklung hinzunehmen, sei "menschlich und rechtlich inakzeptabel", heißt es in dem Aufruf, der sich an Bürger wie Institutionen richtet. Dennoch greife die Idee um sich, dass es möglich sei, das Leben alter Menschen zugunsten anderer zu opfern. Die These, eine kürzere Lebenserwartung bedeute rechtlich einen geringeren Wert eines Lebens, sei "aus juristischer Perspektive eine Barbarei". Zudem dürfe aus Sicht der Religionen, der Menschenrechte und des ärztlichen Ethos in ethischer und demokratischer Hinsicht kein Unterschied zwischen Menschen gemacht werden. Zugleich erinnert der Aufruf an die Lebensleistung der Alten: "Wir dürfen die Generation nicht sterben lassen, die gegen die Diktaturen gekämpft, sich um den Wiederaufbau nach dem Krieg bemüht und Europa aufgebaut hat". Zu den Erstunterzeichnern gehören Andrea Riccardi, Gründer von Sant'Egidio, der ehemalige italienische Ministerpräsident und EU-Kommissionspräsident Romano Prodi, der Philosoph Jürgen Habermas, der Direktor des UN Sustainable Development Solutions Network, Jeffrey Sachs, Danzigs Bürgermeisterin Aleksandra Dulkiewicz, der frühere Präsident des EU-Parlaments, Hans-Gert Pöttering, Bolognas Erzbischof Kardinal Matteo Zuppi sowie die frühere deutsche Bildungsministerin und Botschafterin beim Heiligen Stuhl Annette Schavan. (KNA)