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DOMRADIO.DE: "Bruder Abt" ist eine sehr ungewöhnliche Anrede für einen Ordensmann. Finden Sie nicht auch?
Abt Isaac Murphy OSB (Saint Anselm Abbey, New Hampshire): Eigentlich sprechen mich die meisten Brüder trotzdem als "Vater Abt" an. Obwohl ich kein geweihter Priester bin, sagt uns die Benediktsregel, dass der Abt der Vater der Gemeinschaft ist. Vater bezieht sich in dem Fall also nicht explizit auf den Stand als Priester, sondern die Rolle in der Gemeinschaft.
DOMRADIO.DE: Im Mai 2022 hat Papst Franziskus in einem Rechtstext verfügt, dass auch Laienbrüder, also nicht zum Priester geweihte Ordensleute, Gemeinschaften leiten dürfen. Sie sind nun nicht nur der erste "Laien-Abt" in Amerika oder in ihrer Kongregation, sondern der erste Laie der Neuzeit, der überhaupt Benediktinerabt wird, mit Ring, Kreuz und Hirtenstab. Ist das richtig?
Abt Isaac: Nach meinem Kenntnisstand ist das so. Seitdem der Papst vor zwei Jahren diesen Erlass veröffentlicht hat, bin ich der erste Abt, der kein Priester ist. Es gab ein paar Provinziale bei anderen Gemeinschaften, aber ich bin der erste Benediktinerabt nach dieser Entscheidung.
Ich bin definitiv der einzige in unserer Kongregation und in der Familie der benediktinischen Ordensgemeinschaften. Was ich nicht weiß: Wie lange man in der Geschichte zurückgehen müsste, um einen anderen solchen Fall zu finden. Das könnten 50 Jahre oder 500 Jahre sein.
DOMRADIO.DE: Das wirft eine Reihe sehr spannender Fragen auf. Vorher wollen wir Sie aber als Mensch ein wenig kennenlernen. Warum haben Sie sich für das Ordensleben bei den Benediktinern entschieden? Und die Frage, die sich sicher viele stellen: Warum sind Sie Bruder geblieben und haben nie den Weg zur Priesterweihe angestrebt?
Abt Isaac: Zum monastischen Leben habe ich mich schon sehr früh hingezogen gefühlt. Ich bin in Kanada aufgewachsen, da gab es nicht viele Benediktinerklöster, aber ein paar kannte ich schon. Als junger Mann fand ich diesen Lebensentwurf sehr ansprechend. Einer meiner Freunde kannte ein Kloster in New Hampshire in den USA, ungefähr 200 Meilen von meinem Heimatort in Kanada entfernt, das Kloster in dem ich jetzt lebe.
Zum Kloster gehört auch eine Universität. Das Unterrichten war und ist meine zweite Leidenschaft. Als ich das erste Mal hierher gekommen bin, habe ich gesehen, dass ich hier beides verbinden kann: das Leben als Mönch und das Unterrichten. Hier konnte ich diese beiden Welten direkt verbinden. Als ich dann hier war, habe ich mich direkt in diese Gemeinschaft verliebt.
St. Anselm ist eine Abtei, wo Laien schon immer eine große Rolle in Leitungspositionen eingenommen hatten. Natürlich gab es bisher keine Laien-Äbte, aber der Universitätspräsident oder der Prior wurden schon öfters von nicht geweihten Brüdern besetzt. Bei uns gibt es viele Brüder mit Doktortitel oder in Leitungsfunktionen.
Der sakramentale Dienst hat da für mich gar nicht so eine große Rolle gespielt. Zum monastischen Leben hat mich etwas anderes gezogen. Deshalb habe ich auch den Pfad zum Priester nicht eingeschlagen.
DOMRADIO.DE: Aber das wäre ja schon der klassische Weg oder der Standard.
Abt Isaac: Das Wort Standard ist vielleicht etwas zu hoch gegriffen. Als ich in die Gemeinschaft eingetreten bin, ging ich aber schon irgendwie davon aus, dass ich das Priesteramt anstreben würde.
Aber dann habe ich eben die Gegenbeispiele gesehen: Brüder, die hochgebildet sind, auch ohne Weihe in Führungspositionen saßen. Ich habe das damals alles nicht bis zum Ende durchgeplant, aber habe schon relativ schnell gesehen, dass das auch ein Weg für mich sein könnte.
DOMRADIO.DE: Also die Berufung des Lehrens und der Wissenschaft hat für Sie eine größere Rolle gespielt als der Wunsch nach einer theologischen Bildung und dem priesterlichen Dienst.
Abt Isaac: Ganz genau.
DOMRADIO.DE: Die eigentliche Abtswahl hat dabei schon im April stattgefunden. Trotzdem mussten Sie eine Weile warten, bis Sie ihr Amt aufnehmen konnten. Der Vatikan musste nämlich noch zustimmen, richtig?
Abt Isaac: Das ist korrekt. Wenn ich Priester gewesen wäre, hätte unser Abtpräses Jonathan Licari, der der Wahl vorstand, mich direkt im Amt bestätigen können. Das war am 30. April. Ich brauchte zwei Drittel der Stimmen und die habe ich auch bekommen. Da ich kein Priester bin, musste diese Frage erst kirchenrechtlich geklärt werden.
Papst Franziskus hat 2022 Laienbrüdern erlaubt, die Leitung von geistlichen Gemeinschaften zu übernehmen. In diesem Dokument steht aber auch drin, dass sich der Vatikan das Recht vorbehält, den Kandidaten vor der Einführung noch zu bestätigen. Das hat in meinem Fall sechs Wochen gedauert.
Man sagt mir aber, dass das für römische Verhältnisse noch ziemlich schnell ging. Wenn man aber wie ich auf heißen Kohlen sitzt, und sich nicht sicher ist, ob es doch noch einen Widerspruch gibt, dann können sechs Wochen auf einmal ziemlich lang werden.
DOMRADIO.DE: Hat sich denn irgendjemand aus dem Vatikan mit Ihnen in Verbindung gesetzt?
Abt Isaac: Wir haben die offizielle Bestätigung per Post erhalten. Unsere Kongregation hat einen Prokurator in Rom, der in Kontakt zum Dikasterium steht. Von dem habe ich immer wieder Updates bekommen. Deine Unterlagen sind da, werden bearbeitet, es gibt noch Klärungsbedarf, weil dieser Fall so ungewöhnlich ist. Eine offizielle Ansage habe ich dann aber erst drei Tage vor dem offiziellen Schreiben bekommen.
DOMRADIO.DE: Sie haben aber nichts von Streitigkeiten oder Gegenargumenten aus der Kurie gehört?
Abt Isaac: Das habe ich nicht. Ich ging aber davon aus, dass die Rückmeldung positiv ausfällt, weil eben der Papst und das Dikasterium genau solche Fälle wie mich beschrieben und sich gewünscht haben. Ich vermute nur, weil ich eben der Erste bin, dass es deshalb so lange gedauert hat.
DOMRADIO.DE: Sie haben selbst erwähnt, dass es in diesen zwei Jahren bereits Laien-Provinziale gab, Sie aber der erste Abt der Benediktiner sind. Ein Abt mit Mitra, Hirtenstab und Ring wirkt ja doch noch einmal eine Nummer klerikaler als ein Provinzialminister der Franziskaner zum Beispiel. Ist das nicht auch für Sie eine sehr ungewöhnliche Situation?
Abt Isaac: In der Tat ist das eine etwas schräge Position, die noch komplizierter wird, weil es einfach keine Präzedenzfälle gibt. Bei der Frage der Mitra zum Beispiel. Darüber diskutieren gerade die Kirchenrechtler, ob ich das Recht habe eine Mitra zu tragen.
Da brauchen wir auch einfach Klarheit. Es wird sie nicht überraschen, dass es mir relativ egal ist, ob ich Mitra trage oder nicht, da ich eben nicht den Weg in Richtung Priester- oder Bischofsamt angetreten habe.
Ich trage allerdings schon jetzt ein Brustkreuz, und am 27. September, dem Tag meiner Abtsbenediktion, bekomme ich dann auch einen Stab und einen Abtsring, die traditionellen Zeichen der Abtswürde.
Aber Sie haben recht, am Ende bleibt es ungewöhnlich. Über 1000 Jahren waren alle Äbte, von denen ich weiß, auch Priester. Geht man aber weiter zurück, findet man auch nicht geweihte Äbte, nicht zuletzt unseren Ordensgründer, den heiligen Benedikt von Nursia.
DOMRADIO.DE: Ihre Berufung sollte dann ja ganz im Sinne des heiligen Benedikt sein. Der hat sich ja auch nie verschiedene Ränge oder Klassen von Mönchen gewünscht.
Abt Isaac: Haargenau getroffen.
DOMRADIO.DE: Sehen Sie da vielleicht auch ein kirchenpolitisches Zeichen drin, dass der Papst Ihr Amt auch für Laienbrüder geöffnet hat?
Abt Isaac: Ich kann nur für meine eigene Gemeinschaft sprechen. St. Anselm ist keine unbedingt radikal progressive Abtei, die die Grenzen des Möglichen austestet. In meiner Wahl steckt nach meiner Ansicht keine ideologische Richtungsweisung.
Im Text aus dem Vatikan steht ja auch, die Gemeinschaften können nicht geweihte Brüder zur Wahl stellen. Genauso hätten wir einen Bruder im Priesteramt wählen können. Die Mitglieder unserer Gemeinschaft haben danach abgestimmt, wen sie für den fähigsten Kandidaten gehalten haben. Die Wahl fiel auf mich als Person, nicht auf einen Priester oder Nicht-Priester.
DOMRADIO.DE: Über die Mitra haben wir gesprochen. Als Laienbruder können Sie aber zum Beispiel auch nicht der Liturgie vorstehen, was zumindest bei Festhochämtern eigentlich dem Abt vorbehalten ist. Wie sehen da die Gedanken aus?
Abt Isaac: Es gibt den Unterschied zwischen dem Hauptzelebranten einer Messe und dem Vorsteher. Es gibt in der Kirchengeschichte jede Menge Beispiele, wo ein Prior oder ein untergebener Bruder als Hauptzelebrant gedient hat und jemand anderes der Messe vorsteht.
Selbst Papst Franziskus tut das inzwischen, weil er nicht mehr so lange stehen kann. Er steht der Messe vor, lässt aber jemand anderen zelebrieren. Wir hatten auch früher, bevor ich eingetreten bin, einen älteren Abt, der auch seinen Prior hat zelebrieren lassen. Ich denke irgendwas in diese Richtung werden wir dann auch anstreben.
DOMRADIO.DE: Aber es gibt noch keine fertigen Pläne oder Entscheidungen?
Abt Isaac: Seitdem ich das Amt angetreten habe, hatten wir noch gar keine so große Messe, dass sich die Frage gestellt hätte. Ende August steht eine Priesterweihe an. Wir haben also noch ein paar Tage um zu schauen, wo ich dann sitze, ob ich ein Chorgewand statt Albe und Stola trage. Das klärt sich alles noch.
DOMRADIO.DE: Wie fühlen Sie sich eigentlich mit alledem? Sie sind ein Ausnahmefall der Ausnahmefälle. Ist das nicht allein kirchenrechtlich ein absoluter Albtraum?
Abt Isaac: Absolut nicht. Es bringt halt eine Reihe von Fragen und Herausforderungen mit sich, denen wir uns jetzt stellen müssen. Im September gibt es einen Äbtekongress in Rom, wo sich alle Benediktineräbte der Welt treffen. Da habe ich dann auch die Möglichkeit, mit dem Abtprimas und den anderen Äbten zu sprechen.
Wir haben auch einen Workshop, wo es genau um meinen Fall geht, um Laien in der Leitung von Gemeinschaften. Ich denke, da werde ich viel lernen und Impulse bekommen, wie wir mit dieser Ausnahmesituation umgehen können.
Wir kommen halt immer wieder vor Situationen, wo wir uns fragen müssen, wie wir in dieser spezifischen Lage umgehen werden. Das würde ich aber noch nicht einmal Probleme nennen, sondern einfach Entscheidungen, die wir auf unserem gemeinsamen Weg treffen müssen. Diesen Weg gehen wir einfach Schritt für Schritt, Tag für Tag.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.