Islam-Beauftragter rät Innenminister Blick auf Dialog der Religionen

"Man kann nicht trennen"

Der Experte für den christlich-islamischen Dialog im Erzbistum Köln Thomas Lemmen hält die vom neuen Innenminister Friedrich wieder angestoßene Debatte über die Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland für "problematisch". Sie polarisiere und nehme die Wirklichkeit nicht wahr, kritisiert der Theologe im Interview mit domradio.de.

 (DR)

domradio.de: Wem können wir jetzt glauben: Wulff oder Friedrich? Gehört der Islam zu Deutschland oder nicht?

Lemmen: Religionen sind keine in sich abgeschlossenen Systeme, die in diesem oder jenen Erdteil vollkommen voneinander getrennt existieren. Sie stehen in Beziehungen zueinander, die Welt ist kein Dorf mehr. Und auch wenn wir auf die Geschichte schauen, können wir sagen, dass es eigentlich immer Beziehungen zwischen der christlich-westlichen und der islamischen Welt gegeben hat. Man kann nicht trennen zwischen Hier und Dort.



domradio.de: Was halten Sie von dieser Diskussion? Was halten Sie von dieser Diskussion?

Lemmen: Diese Diskussion ist insofern problematisch, als dass in gewisser Weise polarisiert in Ihr und Wir. Sie nimmt die Realität eigentlich nicht richtig wahr. Denn Muslime sind seit Langem Teil dieser Gesellschaft, nicht erst seit der Arbeitsmigration. Es gibt eine schon viel längere Geschichte der Beziehungen. Und sie haben auf ihre Weise auch einen Beitrag zum Aufbau dieser Gesellschaft geleistet, das ist ganz klar. Da kann man auch heute viele aktuelle Beispiele zu bringen. In einer Woche werden 20 Muslime zu ehrenamtlichen Helfern in der Notfallseelsorge zertifiziert. D.h. sie arbeiten mit Christen zusammen und leisten ihren Beitrag für Menschen in Krisensituationen. Das ist ein ganz klares Beispiel dafür, dass die Realität da weiter ist als diese Diskussion.



domradio.de: Sehen Sie den interkulturellen Austausch jetzt wieder gefährdet?

Lemmen: Der interreligiöse Dialog ist die Möglichkeit, die Beziehungen, die es gibt, positiv und konstruktiv zu gestalten. Und der Papst hat 2005, als er hier in Köln war, gesagt, der Dialog ist keine Saison-Entscheidung, sondern er ist vital, um das Zusammenleben in unserer Gesellschaft miteinander zu gestalten. Und die Kirche hat schon vor der Deutschen Islamkonferenz den Dialog mit den Muslimen gepflegt - und wird ihn auch unabhängig vom Ausgang der Islamkonferenz fortsetzen. Wir haben einfach keine andere Möglichkeit, als durch den Dialog das Zusammenleben in unserer Gesellschaft miteinander zu gestalten.



domradio.de: Was würden Sie Hans-Peter Friedrich raten?

Lemmen: Ich würde ihm raten, auf die guten Erfahrungen des Zusammenlebens und Zusammenarbeitens, die es in unserer Gesellschaft gibt, zu schauen und diese Erfahrungen auch für die Politik nutzbar zu machen, das Zusammenleben miteinander zu gestalten. Dort wo Christen und Muslime auf Augenhöhe zusammen leben und arbeiten, da gibt es sehr gute, konstruktive Beispiele, dass das miteinander geht. Und das sollte auch in der Politik den Wiederhall finden.



Das Gespräch führte Christian Schlegel.