DOMRADIO.DE: Wie finden Sie diese Äußerung?
Thomas Lemmen (Referat Dialog und Verkündigung des Erzbistums Köln): Ich finde es unerträglich, dass wieder auf dem Rücken einer Minderheit Politik gemacht wird, und zwar eine Politik, bei der Seehofer und Erdogan einer Meinung sind.
DOMRADIO.DE: Nun fügt Seehofer in dem Interview an, die Muslime gehören selbstverständlich zu Deutschland. Finden Sie diese Unterscheidung nicht diskutierenswert?
Lemmen: Das Grundgesetz und die Landesverfassungen sprechen überhaupt nicht von einzelnen Religionen, sondern sie garantieren die Religionsfreiheit, die Ausübung des Bekenntnisses, und da wird nicht zwischen der einen oder anderen Religion differenziert. Und von daher ist diese Aussage vor dem Hintergrund des Grundgesetzes vollkommen überflüssig.
DOMRADIO.DE: Es ist ja auch ein bisschen komisch zu sagen, die Muslime wollen wir, aber den Islam nicht...
Lemmen: Muslime sind ja nicht erst seit 20 oder 30 Jahren in Deutschland, sondern die Geschichte des Islam reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück. Da gab es die ersten Spuren islamischer Gemeinden und es gab ja nun auch durch die ganze Geschichte hindurch immer wieder wechselseitige Kontakte. Und ich denke, das kann man nicht einfach so trennen. Hier wir und dort die anderen. Sondern wir leben in einer globalen Welt, in der die Beziehungen zueinander Teil unserer Realität sind.
DOMRADIO.DE: Seehofer sagt weiterhin: Wir sollten nicht aus falscher Rücksichtnahme auf unsere landestypischen Gebräuche und Traditionen verzichten. Sehen Sie dafür Anzeichen?
Lemmen: Man muss ja umgekehrt sagen, dort, wo jetzt christliche Werte zur Disposition stehen, sind Muslime und Vertreter anderer Religionen unsere Unterstützer und Verbündeten.
DOMRADIO.DE: Zum Beispiel?
Lemmen: Als es um die Abschaffung christliche Feiertage ging, also darum ging, nicht mehr von St. Martin oder Nikolaus zu sprechen, haben die Muslime gesagt: "Moment mal. Darin sehen wir keine Gefahr, sondern im Gegenteil. Diese Werte, die diese Feste vertreten, die können wir gut unterstützen.' Also da sehe ich überhaupt keine Anzeichen für.
DOMRADIO.DE: Gestern erst haben Vertreter der Muslime in Deutschland eine mangelnde Solidarität in Deutschland beklagt, nachdem es mehrere Anschläge auf Moscheen in Deutschland und eine Morddrohung gegen den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime gegeben hatte. Heute nun diese Äußerung. Welche Wirkung haben solche Worte?
Lemmen: Ich befürchte, dass diese Äußerung all denen recht gibt, die sagen "Der Islam gehört nicht zu Deutschland", die sich mit der islamischen Präsenz in unserem Land und mit den Muslimen nicht anfreunden können und dann in solchen Aussagen auch noch mal eine Rechtfertigung für ihre Haltungen oder für ihre Parolen finden. Von daher war das – meines Erachtens – in der jetzigen Zeit das falsche Signal.
DOMRADIO.DE: Ist das Fischen am rechten Rand?
Lemmen: Das mag so sein. Gut, jetzt muss man sagen, dass CSU-Politiker oder auch verschiedene andere Innenminister diese Position immer schon vertreten haben. Das ist nichts Neues. Aber es hilft nichts. Es gibt denen Recht, die das genauso sehen.
DOMRADIO.DE: Warum führt eigentlich der Satz "Der Islam gehört zu Deutschland" auch acht Jahre nachdem er gesagt wurde, immer noch zu so erbitterten Kontroversen, obwohl fast zwei Millionen Türken hier leben? Was sagt das aus über unsere Gesellschaft?
Lemmen: Das sagt aus, dass wir in diesem Prozess der Integration des Islams und der Integration von Muslimen noch nicht ans Ende gekommen sind, sondern noch immer darin stecken.
DOMRADIO.DE: Manche würden jetzt argumentieren "von beiden Seiten"?
Lemmen: Es ist ja tatsächlich auch so, dass es Muslime wie Nichtmuslime gibt, die sagen "Wir gehören hier nicht hin". Aber die große Mehrheit der Muslime in Deutschland – davon bin ich überzeugt – ist hier angekommen, lebt hier und hat seine Heimat hier, wenngleich sie auch noch anderswo Familie oder Beziehungen in der Heimat haben. Diese Debatte ist also eigentlich überflüssig. Man sollte stattdessen schauen, wie man tatsächlich die Fragen des Zusammenlebens konstruktiv lösen und klären kann, anstatt durch solche Parolen im Grunde für unnötige Aufregung zu sorgen.
Das Interview führte Hilde Regeniter.