Heute reist Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in die Türkei. Eine heikle Visite, bei der die Kanzlerin, geht es nach dem Willen des stellvertretenden SPD-Fraktionschefs Rolf Mützenich, auch die Kritik an der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) ansprechen sollte. "Sie muss klarstellen, dass wir nicht dulden können, dass über den muslimischen Dachverband Ditib innertürkische Konflikte nach Deutschland getragen werden", sagte Mützenich dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Mittwoch).
Die Diskussionen um den mit rund 900 Gemeinden größte islamische Einzelverband in der Bundesrepublik reißen nicht ab. Am Dienstag sah sich der Ditib-Vorstandsvorsitzende Nevzat Yasar Asikoglu dazu genötigt, eine Erklärung gegen Antisemitismus und Hetze gegen Christen abzugeben - genau einen Tag, nachdem der Moscheeverein seine Ziele für 2017 veröffentlicht hatte. Asikoglu nannte die Hassparolen "absolut inakzeptabel". Zuvor hatte der Hessische Rundfunk berichtet, dass einzelne Gemeinden entsprechende Postings auf türkischer Sprache ins Internet gestellt hätten.
Viele Probleme
Doch derartige Entgleisungen sind nicht das einzige Problem. In seiner "Vision" für das laufende Jahr bekennt sich Ditib zur Zusammenarbeit mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet. Seit Gründung des Verbandes 1984 habe man mit Diyanet zusammengearbeitet, um religiöse Dienste in Deutschland zu ermöglichen. Ausdrücklich erwähnt werden in diesem Zusammenhang auch die Imame. "Zur Organisation und Durchführung religiöser Dienste" seien "zweisprachige, studierte und in der Gemeindearbeit erfahrene Theologen unverzichtbar."
Einige dieser Imame sollen aber nun Informationen über Anhänger des im US-amerikanischen Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen an die türkische Regierung weitergeleitet haben sollen. Die Gülen-Bewegung gilt in der Türkei als Staatsfeind Nummer eins. Präsident Recep Tayyip Erdogan macht sie für den gescheiterten Putsch im Juli 2016 verantwortlich. Das alles wirft für viele Politiker die Frage nach der Unabhängigkeit des Verbandes auf.
Forderungen aus Deutschland
So pocht Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Rainer Schmeltzer (SPD) auf umgehende Satzungsänderungen, die eine Unabhängigkeit vom türkischen Staat garantieren. Dabei hat Schmeltzer offenbar nicht mehr viel Geduld. "Das muss jetzt eine Sache von Wochen und nicht von Monaten sein."
Dem NRW-Innenministerium war bereits Mitte Dezember ein von Imamen gefertigter Spitzelbericht bekannt geworden, in dem 28 Personen und elf Institutionen als Mitglieder der Gülen-Bewegung denunziert werden. In Hamburg, das 2013 als erstes Bundesland einen Staatsvertrag mit islamischen Verbänden geschlossen hatte, berät die Bürgerschaft unterdessen über eine mögliche Auflösung dieses Vertrags.
Ditib: Nichts mit Spitzelaffäre zu tun
Ditib-Generalsekretär Bekir Alboga wiederholt gebetsmühlenartig, dass sein Verband mit der Spitzelaffäre nichts zu tun habe. Die Ditib habe "zu keiner Zeit Berichte eingefordert oder verfasst", betont er am Mittwoch im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Auf die Farge, wie eng der Draht nach Ankara sei, führt Alboga aus, die türkische Religionsbehörde Diyanet fungiere von der Ditib-Satzung her als "Schlichtungsstelle in religiösen Fragen". Die Behörde sei in diesem Zusammenhang "eine spirituelle Instanz und ein theologisches Lehramt, wie etwa der Vatikan für die katholische Kirche in Deutschland". Zugleich kritisiert Alboga eine unsachliche Berichterstattung in den Medien, die "viele Bürger türkischer Wurzeln und muslimischen Glaubens" mit großer Sorge erfülle.
Gülen-Anhänger fühlen sich gegängelt
Ein anderes Bild zeichnet der Sprecher der Gülen-Bewegung und Leiter der Gülen-nahen Berliner Stiftung "Dialog und Bildung", Ercan Karakoyun. Die bis zu 100.000 Gülen-Anhänger fühlten sich seit dem Ausnahmezustand in der Türkei in deutschen Moscheen schikaniert und ausgespäht, sagt. Jeder Imam, der von Diyanet nach Deutschland entsandt werde, "fungiert derzeit gleichzeitig als Spitzel für die Türkei". Wer nicht mitmache, riskiere seinen Job als Angestellter beim türkischen Staat. Entsprechend "martialisch" sei die Sprache der Imame in ihren Predigten gegenüber Erdogan-Kritikern.