Lyon, Kairo und Sousse, Nigeria, Kuwait und Somalia, der Irak und die Sinai-Halbinsel - die Liste der Terrorziele der vergangenen Wochen ist lang. Dabei hatten sich Terrorgruppen wie Boko Haram in Nigeria in den Vorjahren während des muslimischen Fastenmonats eher zurückgehalten. Doch in diesem Frühjahr rief die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) dazu auf, aus dem Ramadan "einen Monat der Katastrophen, Niederlagen und Schande für Ungläubige" zu machen. Die extremistische Saat ist offenbar aufgegangen. Israels Präsident Reuven Rivlin beklagte, der Fastenmonat habe sich in einen "Ramadan des Terrors" verwandelt. Und Ende Juni - nach dem Massaker am tunesischen Touristenstrand, einem Angriff auf eine Moschee in Kuwait und einer Enthauptung in Frankreich - schrieben zahlreiche westliche Medien von einem "schwarzen Freitag".
Der Terror ist überall und immer präsent - diese Botschaft ist angekommen. Aus Sicht der Terrorismus-Expertin Margret Johannsen zielt der IS mit der Inszenierung des Terrors im Ramadan genau darauf ab. "In der IS-Führungsriege sitzen schließlich Medienfachleute", erklärt die Forscherin vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH). Die Propagandamaschine der Terrormiliz beschäftigt die Politik auch auf anderer Ebene. Insgesamt 700 junge Menschen sollen nach neuesten Zahlen des Bundesverfassungsschutzes aus Deutschland Richtung IS ausgereist sein, darunter rund 100 Frauen. Die Faszination für den Terror scheint also ungebrochen - trotz oder gerade wegen der immer neuen Gräueltaten.
Zeit der Nächstenliebe
Dabei gilt der Ramadan, der am morgigen Donnerstag endet, eigentlich als Zeit der Nächstenliebe und der guten Taten. "Dem widerspricht das Aufflammen der Gewalt", betont Johannsen. "Dem IS ist der Fastenmonat offenkundig nicht heilig - insofern, als Andersgläubige nicht leiden dürften." Zu diesen Andersgläubigen können durchaus auch Muslime zählen, wie nicht erst der Anschlag auf die schiitische Moschee in Kuwait gezeigt hat.
Der Terror gelte jedem, der nicht Anhänger des IS und seiner Islam-Auffassung ist, so Johannsen. Für fromme Muslime, die den Ramadan ernstnehmen und am Wochenende das dreitägige Fastenbrechen als geselliges Ereignis genießen, sträube sich insofern alles gegen die IS-Taten, hat die Forscherin beobachtet. "Auch das ist Ziel ihres Gegenprogramms." Allerdings nutzten nicht nur Terroristen den Fastenmonat für militärische Aktivitäten, so Johannsen im Hinblick auf den Jemen-Konflikt: "Dort bombardiert Saudi-Arabien die schiitischen Huthis." Die Auseinandersetzungen zwischen den Aufständischen und Regierungstruppen sowie der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition dauern seit Monaten an. Nach jüngsten Zahlen der Vereinten Nationen starben dort allein zwischen dem 3. Juli und Anfang der Woche mindestens 142 Zivilisten, 224 wurden verwundet. Insgesamt summierte sich die Zahl der Todesopfer seit Ende März auf 1.670.
Islamisches Brauchtum erleichterte Kontrolle
Der Islamwissenschaftler Robert Chatterjee schätzt den diesjährigen Ramadan dennoch nicht als besonders blutig ein. Verglichen mit den Propagandaerfolgen im Sommer 2014 habe der IS dieses Jahr "keinen großen Coup" landen können, meint Chatterjee, Redakteur beim Berliner Orient-Fachmagazin "Zenith". Wohl gab es Anfang Juli eine Anschlagswelle auf Polizei- und Militäreinreichtungen in Nordsinai mit Dutzenden Toten. Aber wenn die Islamisten geplant haben sollten, nach dem Vorbild der "Frühjahrsoffensiven" von Taliban in Afghanistan medial wirksame Aktionen durchzuführen, war es im Sinn des IS keine gute Saison.
Als einen Grund dafür nennt Catterjee, dass inzwischen auch "die andere Seite" - Sicherheitskräfte und Regierungstruppen in den Ländern, in denen der IS aktiv ist - den Ramadan als sensible Zeit im Blick hat und Energie daransetzt, Anschläge zu vereiteln. "Im Ramadan wird kaum gearbeitet, das erleichtert die Kontrolle", so der Experte. Hier spielt das islamische Brauchtum gewissermaßen gegen die Islamisten. Auch Johannsen meint, dass sich der Effekt, den Ramadan zur Hochsaison des Terrors umzudefinieren, bald abnutzen könnte. Fest stehe daher nur eines: "Die Terroristen werden nach weiteren Gelegenheiten suchen, um für neues Entsetzen zu sorgen."