KNA: Herr Thielmann, Konversion vom Islam zum Christentum - gibt es das überhaupt in Deutschland?
Thielmann: Auf jeden Fall, auch wenn es keine Zahlen gibt, sondern nur Schätzungen. Einige Hundert werden es pro Jahr schon sein. Das sind natürlich deutlich weniger als bei der Konversion vom Christentum zum Islam. Hier geht man von einer mittleren bis hohen vierstelligen Zahl aus. Aber es ist ein steter, kleiner Fluss, der meines Erachtens zunimmt.
KNA: Was sind das für Muslime, die Christen werden?
Thielmann: Da gibt es unterschiedliche Motive. Eine Gruppe bilden Asylbewerber. Natürlich kann es sein, dass dies als nachgeschobener Fluchtgrund oder Abschiebehindernis eingesetzt wird. Viele erleben aber erst als Asylbewerber kirchliches Wirken aus der Nähe, etwa durch die Migrationsberatung. Sie spüren: Da sind Menschen, die christlich motiviert sind. Und das findet Anerkennung. Gleiches gilt auch für Gefängnisseelsorge.
KNA: Kennen Sie Beispiele?
Thielmann: Ich habe einen Fall vor Augen, einen Palästinenser, der als Waise von der Hamas großgezogen wurde. Er lebte in einer streng islamischen Gemeinde und kam aus komplizierten Gründen in Haft. Dort erlebte er das segensreiche Wirken der evangelischen Gefängnispfarrerin, die ihm dann auch einen Therapieplatz besorgte. Nach zwei Jahren und intensiver Beschäftigung mit dem Christentum ließ er sich taufen. Dem war es nicht in die Wiege gelegt worden, evangelisch zu werden.
KNA: Sind es nur Asylbewerber?
Thielmann: Eine weitere Gruppe sind politische Flüchtlinge aus dem Iran. Sie haben oft ein großes Glaubensbedürfnis, können aber mit der politischen Instrumentalisierung von Religion nichts anfangen. Es gibt bei uns nur wenige schiitische Moscheen, die dann auch noch lose Verbindungen zum iranischen Staat haben. Für solche Sinnsucher sind intensive religiöse Gruppen wie Freikirchen ein gutes Angebot. Es gibt aber auch Konvertiten, die in Deutschland das Christentum in anderer Form erleben als in den Schulbüchern islamischer Länder. Und dann harmoniert es besser mit den eigenen Interessen und der eigenen Lebensform.
KNA: Ich stelle mir die Erforschung sehr schwierig vor.
Thielmann: Es ist ein total heikler Bereich, weil Konversion aus dem Islam aus muslimischer Perspektive nicht möglich, sondern unter Strafe verboten ist, bis hin zur Hinrichtung. Das ist natürlich in Deutschland nicht so, aber es bedeutet oft den sozialen Tod. Viele müssen daher ihre neue Religion verbergen, wenn sie noch weiter Kontakt zu ihrer Herkunftsgemeinschaft wollen. Da wird dann nicht über den Gottesdienstbesuch geredet. Sonst werden sie geschnitten, beleidigt, bedroht. Man verliert soziale Bindungen und die neuen in den christlichen Kirchen können das nicht so ohne weiteres ausgleichen.
KNA: Wie gehen die Kirchen damit um?
Thielmann: Zumindest die katholische Kirche und die evangelischen Landeskirchen thematisieren das nicht groß. Man befürchtet, den Dialog mit dem Islam zu belasten. Vielleicht kann sich auch der eine oder andere Kirchenführer nicht vorstellen, dass Muslime zum Christentum konvertieren. Ziel ist auch eher die Binnen- als die Außenmission. Evangelikale Kirchen dagegen betrachten das schon als lohnendes Feld.
KNA: Sehen Sie Bewegung auf islamischer Seite bei der Bewertung des Religionswechsels?
Thielmann: In der Islamischen Charta des Zentralrats der Muslime in Deutschland ist ausdrücklich die Möglichkeit der Religionsaufgabe und des Glaubenswechsels erwähnt. Da gab es starken Widerspruch aus der islamischen Community. Es gibt aber auch Gruppierungen und Verbände, die für sich selbst die Religionsfreiheit in Anspruch nehmen, um den Islam frei und ungebremst zu leben. Sie merken, dass das automatisch bedeutet, sie auch für andere zu akzeptieren. Aber das ist noch ein andauernder Prozess mit argen Geburtsschmerzen. Und das Bekenntnis zur Religionsfreiheit heißt noch lange nicht, dass sie akzeptieren, wenn Muslime ihren Glauben aufgeben.
Das Interview führte Christian Wölfel.