Israel und Vatikan führen 30 Jahre diplomatische Beziehungen

Ein Meilenstein

Vor 30 Jahren, am 15. Juli 1994, nahmen Israel und der Vatikan diplomatische Beziehungen auf. Für die Christen im Heiligen Land wurde dadurch vieles einfacher, auch wenn das Verhältnis immer wieder auf die Probe gestellt wird.

Vatikanische Fahne in Jerusalem / © Harald Oppitz (KNA)
Vatikanische Fahne in Jerusalem / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Am 30. Dezember 1993 vereinbarten Israel und der Heilige Stuhl in einem Grundlagenabkommen die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Am 15. Juni 1994 - also vor genau Jahren - entsendeten dann beide Staaten erstmals Diplomaten in das jeweils andere Land. Selbst Deutschland hatte bereits lange zuvor - nämlich 1965 - diplomatische Beziehungen mit Israel aufgenommen. Warum hat das beim Vatikan so lange gedauert?

Matthias Kopp / © Julia Steinbrecht (KNA)
Matthias Kopp / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Matthias Kopp (Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz und Nahost-Experte): Das war eine Sensation, dass sich beide Staaten gegenseitig anerkannt haben. Die Grundlage dafür wurde mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der Konzilserklärung "Nostra aetate" 1965 geschaffen, wo die Juden als "ältere Brüder" bezeichnet wurden.

Es hat dann einen jahrzehntelangen, sehr schwierigen Dialog gegeben, der von Johannes Paul II. vorangetrieben wurde. Im Zuge der Friedensbemühungen im Nahen Osten ab 1989 war dann auch für den Vatikan die Zeit gekommen zu sagen: Jetzt, wo ein Frieden zwischen Israel und Jordanien möglich ist, ist es auch für uns möglich, den Staat Israel anzuerkennen und vice versa. Das ist der große Erfolg vom 15. Juni 1994. 

Matthias Kopp

"Mit der legendären Reise von Papst Paul VI. 1964 nach Israel wurde erst die Grundlage geschaffen, eine Annäherung zu versuchen."

DOMRADIO.DE: Das heißt, es war auch die völkerrechtlich ungeklärte Situation im Nahen Osten, die den Vatikan hat zögern lassen, bis sich dann mit dem Oslo-Friedensprozess in den 1990er Jahren eine Lösung abzuzeichnen schien?

Kopp: Nicht allein der Vatikan hat sich zurückgehalten, auch der Staat Israel hat sich lange Zeit mit Blick auf das Verhalten der Kirche, gerade in der Zeit des Holocausts zurückgehalten. Es waren zwei Staaten, die sich annähern mussten. Und mit der legendären Reise von Papst Paul VI. 1964 nach Israel wurde erst die Grundlage geschaffen, eine Annäherung zu versuchen.

Papst Paul VI. am 6. Januar 1964 am See Genezareth in Israel / © KNA-Bild (KNA)
Papst Paul VI. am 6. Januar 1964 am See Genezareth in Israel / © KNA-Bild ( KNA )

Es gab natürlich theologische Fragen: Wie ist das mit dem Volk Israel als auserwähltes Volk des Alten Bundes? Und es gab politische Fragen zu klären. Der entscheidende Punkt war aber der 30. Dezember 1993, als der Grundlagenvertrag zwischen Rom und Jerusalem abgestimmt wurde, in dem man nicht nur ankündigte, sich gegenseitig anzuerkennen, sondern in dem man auch dauerhafte bilaterale Gespräche vereinbart hat.

In der Folge gab es 1997 ein weiteres Abkommen über die wirtschaftliche Zusammenarbeit, zum Beispiel die Steuerbefreiung von christlichen Pilgerhäusern. Es war also ein langer Prozess mit wichtigen Inhalten, die in der Folge kamen. 

DOMRADIO.DE: Welches Interesse hatte Israel an der Aufnahme dieser diplomatischen Beziehungen?

Kopp: Ich bin der Auffassung, dass für Israel der Vatikan als Vertreter der katholischen Konfession ein wichtiger weltweiter Player war und ist. Und da der Staat Israel eine Annäherung an möglichst viele Staaten versucht - was völlig verständlich ist - kam auch der Heilige Stuhl irgendwann ins Visier. Diese ewigen Spannungen zwischen Israel und dem Vatikan - gerade auch um religiöse Fragen zwischen Juden und Christen - wollte man bewältigen. Das hat man 1994 geschafft. Die Folge war dann auch der Besuch von Johannes Paul II. im Jahr 2000 in Israel. 

Papst Johannes Paul II. betet an der Klagemauer in Jerusalem in Israel am 26. März 2000. Neben ihm steht Rabbiner Michael Melchior / © Arturo Mari/CNS photo/KNA (KNA)
Papst Johannes Paul II. betet an der Klagemauer in Jerusalem in Israel am 26. März 2000. Neben ihm steht Rabbiner Michael Melchior / © Arturo Mari/CNS photo/KNA ( KNA )

DOMRADIO.DE: Damals bat Johannes Paul II. um Vergebung für den kirchlichen Antijudaismus der vergangenen Jahrhunderte. Es sprach von "Sünden", die Christen "nicht wenige ... gegen das Volk des Bundes und der Seligpreisungen begangen haben ...". Welche Wirkung hat das damals in Israel hinterlassen?

Kopp: Die Entschuldigungsbitte im Heiligen Jahr 2000 erfolgte einige Wochen vor dieser historischen Reise, ganz bewusst in Rom, um um Vergebung zu bitten. Das hat der Papst übrigens nachher auch gegenüber Muslimen getan.

Dieses Schuldbekenntnis war ein Wirkungsfaktor in Israel, wo der Papst dann bei seiner Reise mit offenen Armen empfangen wurde und wo man mit großen Erwartungen auf seinen Besuch der Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem geschaut hat, wo der Papst dann nochmals um Vergebung gebeten.

Ich glaube, dass man Johannes Paul II. mit der diplomatischen Annäherung 1994, dem Schuldbekenntnis im Jahr 2000 und der Reise nach Israel im selben Jahr als den großen Versöhner zwischen Israel und dem Vatikan anerkennen muss. 

DOMRADIO.DE: Welche praktischen Folgen und Erleichterungen hatte die Aufnahme diplomatischer Beziehungen 1994 für die Christen im Heiligen Land ganz konkret? 

Matthias Kopp

"Das Grundlagenabkommen ist von außerordentlicher Bedeutung."

Kopp: Zunächst einmal der Austausch von Botschaftern. Einen Apostolischen Nuntius in Jerusalem gab es dahin nicht, lediglich einen diplomatischen Vertreter aber nicht im Range eines Nuntius. Diese Nuntiatur hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem Ort entwickelt, der nicht nur für die Katholiken, sondern für alle christlichen Konfessionen - sofern sie es wollen - ein Sprachrohr in die Regierung geworden ist.

Beispielsweise haben die Anglikaner keinen diplomatischen Vertreter in Israel, aber sie konnten über den Nuntius in der Vergangenheit ihre Interventionen bei der Regierung ermöglichen. Das heißt, wir haben den praktischen Bezug, dass sich die Nuntiatur zu einer Art Relaisstation auch für andere christliche Konfessionen in den politischen Apparat Israels entwickelt hat. 

Auch das bereits erwähnte Wirtschaftsabkommen von 1997, das bestimmte Privilegien nicht nur für die katholische Kirche, sondern für die Christen insgesamt, zur Folge hatte, ist zu nennen. Stichwort: Steuerbefreiung in christlichen Pilgerhäusern

Und beispielsweise auch eine eigene Lehrautorität in den kircheneigenen Schulen - nach dem israelischen Curriculum natürlich - aber mit einer eigenen Aufsicht, die von der Kirche gestellt wird, ist erwähnenswert. Das sind einige der praktischen Belange. 

DOMRADIO.DE: Im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern hat sich der Vatikan immer versucht, neutral zu verhalten. Inwiefern wurden auch politische Beziehungen mit den Palästinensern aufgenommen?

Kopp: Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel 1994 hatte zur Folge, dass zwei Jahre später, nachdem mit dem Gaza-Jericho-Abkommen den Palästinensern eine Selbstverwaltung zugesprochen worden war, gleiche Verhandlungen zwischen der PLO und dem Heiligen Stuhl erfolgten, die am 15. Januar 2000 zu einem ähnlichen Grundlagenabkommen zwischen beiden Seiten führten. Dieses Grundlagenabkommen gilt für das palästinensische Territorium, also die Westbank und theoretisch auch für den Gazastreifen. 

Dieses Grundlagenabkommen ist von außerordentlicher Bedeutung. Ein ganz praktisches Beispiel: In seinen letzten Lebensjahren hatte der PLO-Führer Jassir Arafat die Idee, im Staat Palästina den Islam als Staatsreligion zu etablieren. Da konnte dann der Vatikan auf das Grundlagenabkommen verweisen, in dem die Religionsfreiheit festgeschrieben war. Man hat von vatikanischer Seite sehr intensiv darauf eingewirkt, dass Arafat von diesem Anspruch Abstand genommen hat. Das zeigt, dass vatikanische Diplomatie auch mit solchen Grundlagenabkommen durchaus erfolgreich sein kann. 

DOMRADIO.DE: Nach dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober auf Israel kam es zu erheblichen diplomatischen Verstimmungen, weil der Papst die Tat aus Sicht Israels und vieler Beobachter nicht hinreichend verurteilte und den Aggressor benannte. Wie lässt sich diese Haltung des Vatikans erklären?

Kopp: Es ist eine falsche Aussage, die von irgendwo gezielt gestreut wurde. Der Papst und der Heilige Stuhl haben beim Angelus-Gebet nach dem 7. Oktober den unvergleichlichen Terror der Hamas als solchen bezeichnet und verurteilt. Es ist eine Mär und völlig unverantwortlich zu behaupten, dieser Terror sei nicht verurteilt worden. Er ist sieben Mal hintereinander vom Papst und vom Heiligen Stuhl verurteilt worden.

Und es war der Heilige Stuhl, der als erster versucht hat, mit den Angehörigen der israelischen Geiseln ins Gespräch zu kommen, das war am 14. November. Hier von Einseitigkeit zu sprechen, ist schlicht falsch. 

Matthias Kopp

"Das Verhältnis ist nicht beschädigt, es ist angespannt, wie öfters in solchen Situationen zwischen dem Vatikan, den Palästinensern und dem Staat Israel."

DOMRADIO.DE: Der Vatikan hat auch das israelische Vorgehen im Gazastreifen scharf kritisiert. Das sorgte auf politischer Ebene in Israel für Empörung. Ist das Verhältnis zwischen Israel und dem Vatikan seit dem 7. Oktober angespannt oder vielleicht sogar beschädigt?

Kopp: Das Verhältnis ist nicht beschädigt, es ist angespannt, wie öfters in solchen Situationen zwischen dem Vatikan, den Palästinensern und dem Staat Israel. Daher versucht der Heilige Stuhl hier seiner internationalen, neutralen politischen Verantwortung gerecht zu werden und bietet sich als Vermittler bei Gesprächen an, wenn die Partner das wollen.

Ich kann nur sagen, dass der Patriarch der lateinischen Kirche im Heiligen Land, Pierbattista Pizzaballa, und der Nuntius alles tun, um den Kontakt sowohl zur israelischen Regierung als auch zu den Palästinensern zu halten. Dass mit der Hamas als Terrororganisation nicht ohne Weiteres verhandelt werden kann, versteht sich von selbst. 

Kardinal Pierbattista Pizzaballa / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Kardinal Pierbattista Pizzaballa / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Der Vatikan hält an einer Friedenslösung im Rahmen einer Zwei-Staaten-Regelung mit international garantierten Grenzen fest. In Israel selbst halten das mittlerweile viele für eine Utopie, die sich mit der aktuellen Regierung sicher nicht umsetzen lassen wird und angesichts des fortschreitenden Siedlungsbaus im Westjordanland immer unwahrscheinlicher wird. Wird der Vatikan damit überhaupt noch ernst genommen?

Kopp: Ja, weil auch die deutsche Bundesregierung als Vermittler im Nahen Osten an einer Zweistaatenlösung festhält. Es gibt keine Alternative. Können Sie sich eine Einstaatenlösung vorstellen, bei der alle Palästinenser unter israelischer Observanz im Heiligen Land leben? Ich kann es mir nicht vorstellen.

Deshalb ist es umso dringender, dass die tote Zweistaatenlösung dringend neu reaktiviert werden muss. Das versucht die Europäische Union mit eingeschränktem Erfolg, ebenso die Bundesregierung, die USA und der Heilige Stuhl. Eine andere Option gibt es nicht. Deshalb ist es gut, wenn möglichst viele Staaten an einem Update dieser Zwei-Staaten-Lösung festhalten. 

Das Interview führte Ina Rottscheidt.

Vatikandiplomatie

Der Heilige Stuhl unterhält derzeit diplomatische Beziehungen zu 183 Staaten weltweit. Hinzu kommen die EU und der Souveräne Malteserorden. 88 Staaten sowie die EU und der Malteserorden lassen ihre Botschafter beim Heiligen Stuhl in Rom residieren. Ferner sind die Arabische Liga, die Internationale Organisation für Migration und das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge UNHCR mit eigenen Gesandten beim Vatikan vertreten.

Vatikanflagge zwischen USA-Flaggen / © Michael Reynolds (dpa)
Vatikanflagge zwischen USA-Flaggen / © Michael Reynolds ( dpa )
Quelle:
DR